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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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und dann sah er die Banknoten, die in ihre Sandalen gesteckt waren und niedlich unter lackierten Zehen hervorsahen. In jenen Tagen wurden (wenn man dem Major glauben kann) die entzückenden skandalösen Begums von ganz Indien schrecklich unbeholfen, und ihre Chappals erzählten von mitternächtlichen Stelldicheins, von Bougainvilleaspalieren vor Schlafzimmerfenstern, von Ehemännern, die günstigerweise weg waren, um Schiffe vom Stapel laufen zu lassen oder Tee zu exportieren oder Kugellager von den Schweden zu kaufen. Während die Unglückseligen abwesend waren, besuchte der Major ihre Häuser, um ihnen ihren kostbarsten Besitz zu stehlen: Ihre Frauen fielen ihm in die Arme. Es ist gut möglich (ich habe die Zahl, die der Major selbst angegeben hat, halbiert), dass in der Hochzeit seiner Schürzenjägerei nicht weniger als zehntausend Frauen in ihn verliebt waren.
    Und natürlich gab es Kinder. Die Brut unerlaubter Mitternächte. Hübsche dralle Säuglinge, gut aufgehoben in den Wiegen der Reichen. Bastarde über die Karte Indiens streuend, ging der Kriegsheld seinen Weg, aber er verlor (und auch das erzählte er Parvati) merkwürdigerweise das Interesse an jeder Frau, die schwanger wurde; gleichgültig, wie schön sinnlich liebevoll sie waren, verließ er die Schlafzimmer all jener, die seine Kinder trugen; und schöne Damen mit rot geränderten Augen mussten ihre gehörnten Ehemänner überzeugen, ja, natürlich ist es unser Kind, Liebling, mein Leben, ist es dir nicht wie aus dem Gesicht geschnitten, und natürlich bin ich nicht traurig, warum sollte ich, das sind Freudentränen.
    Eine dieser verlassenen Mütter war Roshanara, die Kindfrau des Stahlmagnaten S. P. Shetty; auf der Mahalaxmi-Rennbahn in Bombay stach sie in den mächtigen Ballon seines Stolzes. Er vertrat sich die Beine auf dem Sattelplatz, wobei er sich alle paar Meter bückte,
um Damenschals und Sonnenschirme wieder zurückzugeben, die ein Eigenleben anzunehmen und aus der Hand ihrer Besitzerin zu hüpfen schienen, wenn er vorbeiging. Dort trat Roshanara Shetty ihm entgegen; sie stellte sich ihm mitten in den Weg, sah ihn an mit dem wilden Blick eines gekränkten Kindes und dachte nicht daran, sich vom Fleck zu rühren. Er tippte an sein Armeekäppi, grüßte sie kühl und versuchte vorbeizugehen. Doch sie grub ihre nadelscharfen Nägel in seinen Arm, lächelte gefährlich wie Eis und schlenderte neben ihm weiter. Während sie gingen, goss sie ihm raffiniert ihr infantiles Gift ins Ohr, und der Hass und der Groll auf ihren ehemaligen Liebhaber beflügelten sie so, dass er ihr glaubte. Kaltschnäuzig flüsterte sie, es sei so komisch, mein Gott, wie er in der High-Society herumstolziere wie ein Hahn, während die Damen die ganze Zeit hinter seinem Rücken über ihn lachten. O ja, Major Sahib, machen Sie sich nichts vor, die Frauen der Oberschicht haben schon immer gern mit Tieren Bauern Rohlingen geschlafen, aber dafür halten wir Sie nun einmal, mein Gott, es ist Ekel erregend, Ihnen beim Essen zuzusehen, wenn Ihnen die Soße übers Kinn läuft, meinen Sie, wir sehen nicht, dass Sie die Teetasse nie am Henkel halten, bilden Sie sich ein, wir hören Ihre Rülpser und Fürze nicht, Sie sind bloß unser Schoßäffchen, Major Sahib, sehr nützlich, aber im Grunde ein Clown.
    Nach dem Frontalangriff Roshanara Shettys begann der junge Kriegsheld die Welt mit anderen Augen zu betrachten. Jetzt schien er, wohin er auch ging, Frauen hinter Fächern kichern zu sehen; er bemerkte seltsame belustigte Seitenblicke, die ihm vorher nie aufgefallen waren, und obwohl er versuchte, sich besser zu benehmen, hatte es keinen Zweck; je mehr er sich anstrengte, desto tollpatschiger wurde er, sodass ihm sein Essen vom Teller auf unschätzbare Kelimteppiche fiel und aus seiner Kehle Rülpser aufstiegen, die dröhnten wie ein Zug, der aus einem Tunnel auftaucht, und er gab Fürze von sich, die tobten wie Taifune. Sein glanzvolles neues Leben wurde zu einer täglichen Erniedrigung für ihn, und nun interpretierte
er die Annäherungsversuche der schönen Damen neu und begriff, dass sie ihn zwangen, indem sie sich ihre Liebesbilletts unter die Zehen steckten, demütig zu ihren Füßen zu knien ... als er begriff, dass ein Mann jegliches männliche Attribut besitzen mag und trotzdem verachtet werden kann, weil er nicht weiß, wie man einen Löffel hält, spürte er eine alte Gewalttätigkeit und einen Hass auf die da oben und ihre Macht wieder in sich wach werden. Deshalb bin

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