Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Major Shiva, der seit den Enthüllungen Roshanara Shettys in der Gesellschaft der Reichen gehandikapt war, hatte begonnen, für sein Vergnügen zu bezahlen. Und er war so phänomenal fruchtbar (wie er Parvati versicherte, während er sie verprügelte), dass er die Laufbahn manch einer liederlichen Frau ruinierte, indem er ihr ein Kind machte, das sie zu sehr liebten, um es auszusetzen; er zeugte in Delhi und Umgebung eine Armee von Gassenkindern, die das Regiment von Bastarden widerspiegelte, die er den Begums mit ihren von Kronleuchtern erhellten Salons angehängt hatte.
Am politischen Himmel zogen sich ebenfalls dunkle Wolken zusammen: In Bihar, wo Korruption Inflation Hunger Analphabetentum Landlosigkeit die Situation bestimmten, führte Jaya-Prakash Narayan ein Bündnis von Studenten und Arbeitern gegen den regierenden Indira-Kongress an; in Gujarat gab es Krawalle, wurden Züge verbrannt und begann Moraji Desai ein Fasten bis zum Tode, um die korrupte Regierung der Kongresspartei (unter Chimanbhai Patel) in diesem dürregeplagten Staat zu Fall zu bringen ... es versteht sich von selbst, dass ihm das gelang, ohne dass er sich zu Tode fasten musste; kurzum, während Shiva kochte vor Wut, wurde auch das Land wütend; und was wurde ins Leben gerufen, während in
Parvatis Bauch etwas wuchs? Sie kennen die Antwort: Ende 1974 gründeten J. P. Narayan und Morarji Desai die Oppositionspartei, bekannt als Janata Morcha: Volksfront. Während Major Shiva von einer Hure zur anderen taumelte, geriet auch der Indira-Kongress ins Wanken.
Und schließlich entließ ihn Parvati aus ihrem Bann. (Keine andere Erklärung ist ausreichend; wenn er nicht verhext war, warum schob er sie nicht in dem Augenblick ab, in dem er von ihrer Schwangerschaft erfuhr? Und wenn der Bann nicht aufgehoben worden wäre, wie hätte er es dann überhaupt geschafft?) Kopfschüttelnd, als erwache er aus einem Traum, sah Major Shiva sich mit einem Mal in Gesellschaft eines ballonbäuchigen Gassenmädchens, das nun in seinen Augen alles zu verkörpern schien, was er am meisten fürchtete – sie wurde die Personifikation der Slums seiner Kindheit, denen er entkommen war und die nun durch sie, durch ihr verdammenswertes Kind wieder versuchten, ihn hinab hinab hinabzuziehen ... er zerrte sie an den Haaren zu seinem Motorrad, hievte sie auf den Rücksitz, und innerhalb kurzer Zeit stand sie verlassen am Rand des Magiergettos. Sie war dorthin abgeschoben worden, wo sie hergekommen war, und sie brachte nur ein Ding mit, das sie bei ihrem Weggang nicht besessen hatte: das Ding, das in ihr verborgen lag wie ein unsichtbarer Mann in einem Weidenkorb, das Ding, das wuchs wuchs wuchs, genau wie sie es geplant hatte.
Warum ich das sage? – Weil es wahr sein muss; weil das, was folgte, wirklich folgte; weil ich überzeugt bin, dass Parvati schwanger wurde, damit der einzige Grund, den ich gegen eine Heirat mit ihr vorzubringen hatte, hinfällig wurde. Aber ich werde die Dinge nur beschreiben und die Analyse der Nachwelt überlassen.
Eines kalten Tages im Januar, als die Rufe des Muezzins vom höchsten Minarett der Freitagsmoschee in dem Augenblick gefroren, da sie seinen Lippen entströmten, und als heiliger Schnee auf die Stadt fielen, kehrte Parvati zurück. Sie hatte gewartet, bis kein Zweifel an ihrem Zustand mehr möglich war; ihr innerer Korb
wölbte sich durch die sauberen neuen Gewänder, die Shivas mittlerweile erloschene Leidenschaft ihr beschert hatte. Auf ihren Lippen, die sich ihres bevorstehenden Triumphes sicher waren, zeigte sich nicht mehr das modische Schmollen; in ihren untertassengroßen Augen leuchtete ein silbriger zufriedener Glanz, als sie auf den Stufen der Freitagsmoschee stand, damit möglichst viele Leute ihr verändertes Äußeres sahen. So traf ich sie an, als ich mit Picture Singh zur Chaya der Moschee zurückkehrte. Mir war trostlos zumute, und der Anblick Parvatis-der-Hexe auf der Treppe, mit ruhig über dem geschwollenen Bauch gefalteten Händen und dem langen Zopf, der sanft in der kristallenen Luft hin und her schwang, war nicht dazu angetan, mich aufzuheitern.
Pictureji und ich waren in die enger werdenden Gassen zwischen den Mietskasernen hinter dem Hauptpostamt gegangen, wo Erinnerungen an Wahrsager Guckkastenmänner Wunderheiler in der Luft schwebten, und hier hatte Picture Singh eine Vorstellung gegeben, die mit jedem Tag an politischer Brisanz gewann. Seine legendäre Kunstfertigkeit zog große gutmütige Mengen an, und
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