Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
zu knoten.
Was Picture sagte: «Geben Sie mir den ersten Platz, Hauptmann, sonst befehle ich ihr zuzubeißen.»
Das war das Ende des Wettstreits. Das gedemütigte Prinzchen verließ den Klub, und später erzählte man, er habe sich in einem Taxi erschossen. Und an der Stätte seiner letzten großen Schlacht stürzte Picture Singh wie ein fallender Banyan zu Boden ... blinde Kellnerinnen (einer vertraute ich Aadam an) halfen mir, ihn vom Feld zu tragen.
Aber das Mitternachts-Krypto hatte noch einen Trick in petto. Einmal in jeder Nacht suchte ein rotierender Scheinwerfer – um dem Ganzen ein wenig Würze zu geben – eins der gesetzwidrigen Paare aus und führte es den verborgenen Augen seiner Mitmenschen vor: ein Hauch von einem leuchtenden russischen Roulette, das zweifelsohne das Leben für die jungen Kosmopoliten der Stadt spannender machte ... und wen hatte man in jener Nacht zum Opfer auserkoren? Wer, mit Schläfenhörnern Flecken im Gesicht Gurkennase, wurde von skandalösem Licht überflutet? Wer, durch den Voyeurismus der Glühbirnen so blind gemacht wie Kellnerinnen, ließ beinahe die Beine seines bewusstlosen Freundes fallen?
Saleem kehrte in die Stadt seiner Geburt zurück, um beleuchtet in einem Keller zu stehen, während Bombayer im Schutz der Dunkelheit über ihn kicherten.
Schnell, weil wir zum Ende der Ereignisse gekommen sind, berichte ich nun, dass Picture Singh sich in einem Hinterzimmer, in dem Licht gestattet war, von seiner Ohnmacht erholte; und während Aadam fest schlief, brachte uns eine der blinden Kellnerinnen ein belebendes Gratulationsmahl. Auf der Thali des Sieges: Samosas, Pakoras, Reis, Dal, Puris und grünes Chutney. Ja, eine kleine Aluminiumschale mit grünem Chutney, grün, mein Gott, grashüpfergrün ... und es dauerte nicht lange, da hatte ich ein Puri in der Hand, und auf dem Puri war Chutney, und dann hatte ich es probiert und beinahe Picture Singhs Ohnmachtsnummer nachgemacht, denn es hatte mich zurückgeführt zu einem Tag, als ich mit neun Fingern aus einem Krankenhaus kam und zu Hanif Aziz ins Exil ging und das beste Chutney der Welt bekam ... der Geschmack des Chutneys war mehr als nur ein Widerhall jenes Geschmacks vor langer Zeit – es war der alte Geschmack selbst, genau derselbe, und er vermochte es, die Vergangenheit zurückzubringen, als sei sie nie weg gewesen ... in rasender Erregung packte ich die blinde Kellnerin am Arm; kaum fähig, mich im Zaum zu halten, platzte ich heraus: «Das Chutney, wer hat das Chutney gemacht?» Ich muss gebrüllt haben, denn Picture Singh sagte: «Ruhig, Hauptmann, du weckst den Jungen auf... und was ist eigentlich los? Du siehst aus, als hättest du den Geist deines schlimmsten Feindes gesehen! »Und die blinde Kellnerin, ein wenig kühl: «Mögen Sie das Chutney nicht?» Ich musste ein kolossales Gebrüll unterdrücken. «Ich mag es», sagte ich mit einer Stimme, die zusammengepresst wurde hinter stählernen Stangen. «Ich mag es – würden Sie mir nun gefälligst sagen, wo es her ist?» Und sie, erschrocken und darauf bedacht,
wegzukommen: «Es stammt von Braganza-Pickles, das beste in Bombay, das weiß doch jeder.»
Ich ließ mir das Glas von ihr bringen, und da auf dem Etikett war die Adresse: von einem Gebäude mit einer flimmernden safrangelben und grünen Neongöttin über dem Tor, einer Fabrik, bewacht von Mumbadevi aus Neon, während Stadtzüge gelb und braun vorbeifuhren: Braganza-Pickles (Privat) GmbH, im Norden der Stadt.
Noch ein Abrakadabra, ein Sesam-öffne-dich: auf ein Chutneyglas aufgedruckte Worte öffneten die letzte Tür meines Lebens ... ein unwiderstehlicher Drang überkam mich, den Erzeuger dieses unwahrscheinlichen Chutneys der Erinnerung aufzuspüren, und ich sagte: «Pictureji, ich muss gehen ...»
Ich weiß nicht, wie die Geschichte von Picture Singh endete; er weigerte sich, mich auf meiner Suche zu begleiten, und ich sah in seinen Augen, dass durch die Anstrengungen seines Kampfes etwas in ihm zerbrochen war, dass sein Sieg in Wirklichkeit eine Niederlage war; aber ob er noch in Bombay ist (und vielleicht für Herrn Shroff arbeitet) oder zurück zu seiner Wäscherin ging, ob er noch am Leben ist oder nicht, kann ich nicht sagen ... «Wie kann ich dich verlassen?», fragte ich verzweifelt, aber er antwortete: «Sei kein Narr, Hauptmann; wenn man etwas zu tun hat, dann muss man es auch tun. Geh, geh schon, was soll ich auch mit dir? Wie die alte Resham dir sagte: Geh, geh schnell,
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