Mitternachtskinder
Lippen an mein Ohr und versprach mit seiner Berührung, wie alle Feen, ewiges Leben und unbekümmerte Freude. »… wenn die
Leanan Sidhe
mit einem Mann schliefe, sei das ein Genuss wie sonst keiner auf Erden.« Er griff zwischen uns und packte mein anderes Handgelenk.
Das sollte also eine Vergewaltigung werden. Nur dass die Feen es nie so bezeichneten. Sie sagten »betört«, »verführt« und »von Verlangen überwältigt«. Es hatte etwas sehr Menschliches, gegen seinen Willen von einem Feenwesen genommen zu werden. Eine richtige Fee hingegen hatte Rechte. Eine richtige Fee hätte niemals die Lippen dieses
Daoine Sidhe
in ihrem Nacken und das Summen der Musik in ihren Adern gespürt, weil die Königin das nicht erlaubt hätte. Doch ich war weder Fee noch Mensch, also kümmerte es niemanden außer mir, was mit mir geschah.
Ich dachte über all das nach und darüber, wie unangenehm sich seine Finger an meinem Handgelenk anfühlten – wie die Berührung einer Seidenpflanze. Mir fiel außerdem auf, wie leuchtend weiß der Herbstmond doch war, der über dem Wohnheim aufging. Dabei musste ich an ein lächelndes Maul voller Zähne denken, während seine Hand den Körper begrapschte, den James so schön gemacht hatte.
Mit einer Hand hielt er mich jetzt im Nacken gepackt, und seine Finger waren so lang, dass sie fast ganz um meinen Hals reichten. Er legte genug Kraft in diesen Griff, um mich wissen zu lassen, was er tun konnte. Er hob mein Kinn an, als sei er ein richtiger Liebhaber und ich hätte mich bereitwillig in seine Klauen begeben. »Ich würde sehr gern das Paradies sehen.«
Ich spuckte ihn an. Der Speichel glitzerte auf seiner Wange, heller als seine dunklen Augen, und er lächelte, als hätte ich ihm soeben das schönste Geschenk gemacht. Ich hasste ihn, und ich hasste auch alle anderen Feen für ihre verdammte Arroganz. Ich hätte schreien können, doch plötzlich wurde mir auf ganz neue Art bewusst, dass keine Seele auf der Welt mich hören und etwas unternehmen würde, ganz gleich, wo ich mich befand.
»Tränen? Du bist wirklich sehr menschlich«, bemerkte der
Daoine Sidhe,
aber er log, denn ich weinte nie. »Weine nicht, Liebchen, das verdirbt deine Schönheit.« Er griff mir unters T-Shirt. Ich fuhr zurück und wehrte mich verzweifelt, denn zum zweiten Mal in meinem Leben konnte ich einfach nicht bekommen, was ich wollte.
Ich ballte die freie Hand zur Faust – eine vertraute, leichte Geste – und rammte sie ihm gegen die Nase. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man jemanden töten konnte, indem man ihm das Nasenbein ins Hirn trieb, wenn man genau richtig traf.
Er war schwindelerregend schnell und wandte das Gesicht ab, so dass meine Faust nur seinen Kiefer streifte. Dann griff er nach meinem Arm. Allerdings war ich schneller und fuhr ihm mit langen Klauen über Stirn und Wange. Die Spuren meiner Fingernägel hoben sich eine Sekunde lang weiß ab und füllten sich dann mit roter Farbe. Das musste weh getan haben, doch er lächelte unablässig weiter.
Noch immer hielt er mein Handgelenk und drückte jetzt so fest zu, dass ich nach Luft schnappte und mich unter dem Druck seiner Fingerspitzen wand. Es fühlte sich an, als quetschte er mir die Knochen zusammen.
Ich wehrte mich, trat und stieß ihn und warf mich in seinem Griff hin und her, als könnte das etwas nützen, doch er war stark. So stark wie zur Sonnenwende. Viel zu stark für einen
Daoine Sidhe
direkt neben einem menschlichen Bauwerk.
Ich wünschte, mein Verstand hätte sich losreißen und in einem Traum von quälender Schönheit verschwinden können. Aber das, was ich anderen geschenkt hatte, all die schillernde Transzendenz und die Träume von einer anderen Welt, war für mich nicht zu erreichen. Er nahm es sich einfach.
[home]
James
I ch war wach, meine Haut kribbelte, die Augen waren weit aufgerissen. Ich war so wach, wie ich noch nie gewesen war, so wach, dass es weh tat. Im Zimmer war es zappenduster, und ich wusste, ohne hinzusehen, dass der Wecker 3 : 04 anzeigte. Das wusste ich, weil mir mein Traum immer noch vor den Augen brannte – ich hatte vom Aufwachen geträumt, eine Sekunde, ehe ich tatsächlich aufgewacht war.
Ich setzte mich auf, schnappte mir ein Sweatshirt vom Fußende des Bettes, sprang in meine Jeans und dachte kurz daran, nach meinen Schuhen zu suchen. Keine Zeit. Dafür war einfach keine Zeit mehr.
Auf der anderen Seite des kleinen Zimmers stöhnte Paul, den ich nur als einen dunklen Klumpen in seinem Bett
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