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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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war sie entweder das erschreckendste oder das schönste Mädchen, das ich je gesehen hatte. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob dieses Gefühl in mir wollte, dass ich sie noch einmal so zum Lachen brachte oder dass ich vor ihr davonlief.

[home]
    James
    I ch saß um 4 : 13 morgens in einem Kino mit einer Feenmuse, die auch etwas von einem Energievampir hatte, und schaute mir
The Sixth Sense
an.
    Zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben hatte ich ja schon ein paar ziemlich freakige, surreale Erlebnisse gehabt. Zum Beispiel hatte ich zugesehen, wie meine beste Freundin allein durch Gedanken Dinge bewegt hatte, ich war von einem seelenlosen Feen-Meuchelmörder aus meinem zerstörten Auto geschleift worden, und ich hatte die unwiderstehliche Anziehung des Liedes gehört, das der König der Toten allabendlich sang. Und hier mit Nuala zu sitzen und zuzuschauen, wie ein verrückter kleiner Junge Bruce Willis erzählte, dass er tote Menschen sah, sollte eigentlich auch dazuzählen.
    Aber es fühlte sich fast normal an.
    Okay, vielleicht hatte Nuala es mit der Butter auf dem Popcorn ein bisschen übertrieben. Aber zum Teufel, ich wusste schließlich auch nicht so genau, wie man diese Popcornmaschinen bediente. Und konnte auf Popcorn überhaupt zu viel Butter sein?
    »Schau«, befahl Nuala. Sie aß nichts von dem Popcorn. Mir kam der Gedanke, dass sie vielleicht gar nichts aß, Punkt. Ich wusste, dass Menschen keine Feenspeisen essen durften, weil sie dann im Feenreich gefangen wären. Funktionierte das bei Feen und menschlicher Nahrung genauso? Nuala gab mir einen Klaps auf den Arm, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. »Schau, siehst du das? Jedes Mal wenn irgendetwas Übernatürliches bevorsteht, gibt der Regisseur einen kleinen Hinweis darauf. Das Rot. Siehst du das Rot da?«
    Ich sparte mir eine Bemerkung darüber, wie ironisch es war, dass Nuala mich ausgerechnet darauf hinwies. »Ja.« Ich saß schon so lange hier, dass mein Hintern eingeschlafen war. Ich rutschte herum und legte die Füße auf die Sessellehne vor mir. Nualas Blick war immer noch auf die Leinwand geheftet, und das Licht des Films flackerte auf ihrem Gesicht. Ihre Pupillen weiteten und verengten sich mit jedem Heller und Dunkler auf der Leinwand. Sie ähnelte so sehr einem Menschen, war aber dreitausend Meilen weit davon entfernt, einer zu sein.
    »Wie viele Filme hast du schon gesehen?«, fragte ich. Es war ja nicht so, dass der Film mich nicht interessiert hätte. Allerdings hatte ich ihn schon mindestens vierzehnmal gesehen und kannte das Ende. Ich interessierte mich mehr dafür, warum Nuala in einem Kino saß und warum sie von allen Filmen auf der Welt, die sie hatte anschauen wollen, gerade diesen ausgesucht hatte.
    Im Sitz neben mir sank Nuala in sich zusammen. »Tausende, glaube ich. Ich weiß es nicht. Ehe ich dahintergekommen bin, wollte ich Regisseurin werden.«
    Ich war ein wenig müde und brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sie meinte. Für eine Antwort blieb mir keine Zeit mehr, denn Nuala warf mir einen finsteren Blick zu und erklärte: »Man kann es in sechzehn Jahren wohl kaum zur Regisseurin bringen, verstehst du? Und was hätte das für einen Zweck?«
    Das schien mir eine dumme Frage zu sein. »Den gleichen Zweck wie für alle Leute, die Regisseur werden wollen. Willst du das wirklich? Regisseurin werden, für Kinofilme?«
    »Ja, für Filme. All diese Leben, die sich vor dir abspielen, mit Musik im Hintergrund. Das ist, als könnte man tausend Leben leben, ohne je sein eigenes zu verlassen.« Träge lächelte Nuala in Richtung Leinwand. »Ich habe mir sogar schon den Namen ausgedacht, den ich dafür benutzen würde: ›Izzy Leopard‹.«
    Ich brach in Gelächter aus.
    Nuala versetzte mir einen Klaps, und ich bekam eine Gänsehaut. »Halt den Mund!«
    Sofort bedeckte ich das Gesicht mit einem Arm, lachte aber weiter. »Himmel, Weib, wie bist du denn auf den Namen gekommen? Das hört sich an, als würde ein Betrunkener fragen, ob jemand Lepra hat.«
    Erneut gab Nuala mir einen Klaps auf den Arm. »Halt den
Mund
. Der Name ist markant. Der würde bei den Leuten hängenbleiben. Du weißt schon, sie würden sagen ›Oh, den Film hat Izzy Leopard gedreht‹. ›Ach ja?‹ ›Die ist brillant.‹«
    »Und leprakrank.«
    Wütend verzog Nuala das Gesicht. »Ich könnte dich umbringen.«
    »Ach, hätte ich doch nur jedes Mal zehn Cent bekommen, wenn jemand das zu mir gesagt hat. Ach, hätte ich nur jedes Mal zehn Cent bekommen, wenn
du
das zu

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