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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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nicht sofort klar, was es bedeutete, dass ich Nualas Stimme auf dem Band hörte. »Du bist im Moment der Einzige, der mich sehen kann. Wenn du also mit mir sprichst, wird es aussehen, als hättest du zu lange ohne Sauerstoff im Geburtskanal gesteckt oder so.«
    Sullivan hob die Hand und drückte auf »Stop«.
    »Sag mir, dass du nicht auf den Handel eingegangen bist, James.«
    Er klang so ernst und angespannt, dass ich einfach die Wahrheit sagte. »Bin ich nicht.«
    »Sagst du das jetzt nur so? Bitte sag mir, dass du ihr nicht ein einziges Jahr deines Lebens gegeben hast.«
    »Ich habe ihr überhaupt nichts gegeben.« Allerdings wusste ich nicht, ob das stimmte. Es fühlte sich nicht wahr an.
    »Das würde ich zu gern glauben«, entgegnete Sullivan wütend. Er packte meine Hand und riss sie hoch, so dass ich auf meine eigene Haut starrte, die sich nur Zentimeter vor meinem Gesicht befand. »Aber ich muss dir sagen, dass sie dir
das
nicht umsonst geben. Du bist mein Schüler, und ich will wissen, was oder wen du ihnen versprochen hast, um das zu bekommen. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dumme, brillante Jugendliche wie du nicht zu Tode kommen, und ich werde die Sache jetzt bereinigen müssen.«
    Ich hätte etwas zu sagen haben sollen. Wenn schon nichts Witziges, dann zumindest irgendetwas.
    Sullivan ließ meine Hand los. »Warst du denn allein noch nicht gut genug? Als verdammt noch mal bester Sackpfeifer in ganz Virginia musstest du einen Handel schließen, um noch mehr zu bekommen? Ich hätte wissen müssen, dass dir das nicht genügen würde. Vielleicht dachtest du, es würde niemand sonst betreffen? Es betrifft aber
niemals
nur dich allein.«
    Ich zerrte meine Ärmel herunter. »Sie wissen nicht, wovon Sie reden.
Ich habe keinen Pakt geschlossen.
Sie wissen gar nichts.«
    Vielleicht wusste er doch etwas. Ich hatte ja keine Ahnung, was zum Teufel er wusste.
    Sullivan betrachtete die fast abgeriebenen Lettern über der Klaviatur, ballte die Hand zur Faust und löste sie wieder. »James, ich weiß, du hältst mich für irgendeinen Idioten. Du glaubst, ich sei ein Musiker, der die Träume seiner Jugend verkauft hat, um Fußabtreter untersten Ranges an einer schicken Privatschule zu werden. Das denkst du doch von mir, nicht wahr?«
    Nuala, die tatsächlich Gedanken lesen konnte, hätte es vielleicht besser ausdrücken können, aber für eine nichtübernatürliche Instanz kam er der Sache ziemlich nahe. Ich zuckte mit den Schultern, weil ich eine nonverbale Antwort hier für die beste Idee hielt.
    Er schnitt der Klaviatur eine Grimasse und strich mit den Fingern über die Tasten. »Ich weiß das, weil ich selbst in deiner Lage gewesen bin – vor zehn Jahren. Ich würde einmal jemand sein, dachte ich damals. Niemand würde mir im Wege stehen, und eine ganze Menge Leute am Juilliard-Konservatorium haben mich darin unterstützt. Das war mein Leben.«
    »Ich halte nicht viel von moralischen Märchen«, erklärte ich.
    »Oh, dieses hat ein überraschendes Ende«, erwiderte Sullivan bitter. »Sie haben mein Leben ruiniert. Ich wusste nicht einmal, dass es
sie
überhaupt gibt. Ich hatte keine Chance. Aber
du
hast eine. Ich sage dir, sie benutzen Leute wie uns allein zu ihrem eigenen Vorteil. Weil wir das wollen, was sie zu bieten haben, und weil uns die Welt nicht gefällt, so wie sie ist. Eines musst du dabei bloß verstehen, James: Dass wir wollen, was
sie
haben, und dass sie wollen, was wir haben, bedeutet noch lange nicht, dass nachher jeder etwas bekommt, das ihm gefällt. Wir haben nachher gar nichts.«
    Er rutschte auf der Bank zurück und stand auf. »Jetzt setz dich.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also gab ich immerhin die halbe Wahrheit preis. »Ich will eigentlich gar nicht Klavier spielen.«
    »Wollte ich auch nicht«, sagte Sullivan. »Aber zumindest ist es keines von den Instrumenten, die sie besonders schätzen. Deshalb ist es gut für uns beide. Setz dich.«
    Ich nahm Platz, aber ich glaubte nicht, dass Sullivan so viel über Nuala wusste, wie er glaubte.
    Neue Textnachricht
    An:
    James
     
    Du hast mal gesagt, du kannst hellsehen. Würde dich gern nach meiner zukunft fragen. Bin ich immer so? Stehe ich immer nur draußen und schaue hinein? Das habe ich an luke so geliebt. Er hat mir das gefühl gegeben, irgendwo dazuzugehören.
     
    Absender:
    Dee
     
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