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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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nicht«, erwiderte ich.
    »Sullivan«, warnte Nuala unter dem Bett. Scharf blickte ich in ihre Richtung und ging dann zur Tür, als es klopfte. Ich öffnete, trat hinaus auf den Flur und schloss die Tür hinter mir.
    Sullivans Miene sprach Bände. »James.«
    »Mr.Sullivan.«
    »Interessante Musik hab ihr beiden euch heute Abend ausgesucht.«
    Ich neigte leicht den Kopf. »Ich hoffe, dass unsere Zeit an der Thornking-Ash uns eine tiefempfundene Wertschätzung aller musikalischen Genres vermittelt.«
    In unserem Zimmer traf Paul einen besonders hohen Ton. Ich fand, dass er in diesen Tonlagen phantastisch war. Er hatte wohl seine wahre Berufung verfehlt. Er hätte nicht Oboe spielen, sondern mit Mariah Carey auf Tour gehen sollen.
    »Du lieber Gott«, sagte Sullivan.
    »Ganz Ihrer Meinung. Also, was führt Sie hier herauf?«
    Sullivan reckte den Hals, um das Blatt zu sehen, das ich an die Tür geklebt hatte. »Pizza. Der Lieferant hatte den Eindruck, dass einer von euch etwas trinkt, das sehr nach Bier aussieht.«
    »Also, der bekommt von mir kein Trinkgeld mehr – er singt ja gleich wie ein Kanarienvogel, wenn man ihn nur schief anschaut.«
    Sullivan verschränkte die Arme. »Singt Paul deswegen ein hohes E da drin? Ich weiß, dass
du
nichts getrunken hast. Du riechst nicht danach und verhältst dich für deine Verhältnisse ganz normal.«
    Ich schenkte ihm ein gewinnendes Lächeln. »Ich kann Ihnen aufrichtig versichern, dass keiner von uns beiden Alkohol trinkt.«
    Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. »Was treibt ihr sonst?«
    Als wollte ich mich ergeben, hob ich die Hände. »Er wollte sich unbedingt betrinken. Ich wollte mal erleben, wie er die Hemmungen fallen lässt. Drei Flaschen alkoholfreies Bier später glaube ich …« Ich hielt inne, als Paul sich an einem weiteren hohen Ton versuchte und kläglich versagte. »… glaube ich, wir beide sind mit dem Ergebnis zufrieden, überraschenderweise, ohne die Grenzen der Legalität zu überschreiten.«
    Sullivans Lippen zuckten. Er wollte mich nicht mit einem Lächeln belohnen. »Schockierend, wenn man bedenkt, wer diesen Plan ausgeklügelt hat. Und wie hast du Paul hereingelegt?«
    »Der Typ von der Bar im Ort hat mir freundlicherweise die Heineken-Verpackung und ein paar Kronkorken überlassen. Ich habe die Kronkorken auf sechs alkoholfreien Flaschen ausgetauscht, die Aufkleber abgezogen und Paul etwas von Preisnachlässen bei fehlendem Etikett erzählt. Der Barkeeper hat wirklich gut mitgemacht. Kein Spielverderber. Genau wie ein paar meiner Lehrer.« Ich sah ihn mit hochgezogener Braue an und wartete ab, ob er sich herausfordern ließ.
    »Die dazu erforderlichen Machenschaften waren ja ungeheuer aufwendig. Der Gedanke, wie viel deiner Freizeit dich das gekostet hat, schmerzt mich. Wie dem auch sei, es liegt mir selbstverständlich fern, einen gemütlichen Abend der Kameradschaft, Intrige und des gefälschten Biers zu verderben.« Sullivan schaute mich an und schüttelte den Kopf. »So wahr mir Gott helfe, James, was zum Teufel bist du eigentlich?«
    Ich blinzelte zu ihm auf. »Versessen darauf, wieder da reinzugehen und auszuprobieren, ob ich Paul dazu bringen kann, sich eine Unterhose auf den Kopf zu setzen, das bin ich.«
    Mit der Hand wischte Sullivan sich ein Lächeln vom Gesicht. »Gute Nacht, James. Ich verlasse mich darauf, dass morgen niemand einen Kater hat.«
    Ich grinste ihn an, schlüpfte zurück ins Zimmer und schloss die Tür hinter mir.
Danke, Nuala.
    »Gern geschehen«, entgegnete sie.
    »Wer war das?«, wollte Paul wissen.
    »Deine Mom.« Ich reichte ihm das vierte Bier. »Nachher musst du pissen wie ein Rennpferd.«
    »Glaubst du, dass Rennpferde mehr pissen als andere Pferde?«, fragte Paul. »Ich wüsste nicht, warum sie das tun sollten, aber sonst könnte man doch auch sagen ›pissen wie ein Pferd‹, oder?«
    Ich nahm mir noch ein Stück Pizza und legte mich vor seinem Bett auf den Boden. Da unten war es einige Grad kühler, und in der Zugluft konnte ich Nualas blumigen Sommeratem deutlich riechen. »Vielleicht trinken sie mehr. Oder vielleicht interessiert es einfach keinen, ob andere Pferde pissen oder nicht.«
    »Pisse interessiert die Leute einen Scheiß«, bestätigte Paul lachend.
    Ich lachte auch, wenngleich aus einem völlig anderen Grund, und bemerkte Nualas sarkastisches Lächeln unter der Bettkante.
Er kann dich nicht sehen, egal, wo du bist. Warum liegst du dann unter dem Bett?
    »Weil ich dir eine Scheißangst einjagen

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