Mitternachtskinder
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James
A ls ich das Sixpack aus meinem Rucksack holte, schaute Paul drein, als hätte ich ein Ei gelegt. Ich stellte das Bier auf den Tisch neben seinem Bett, drehte den Stuhl mit der Lehne nach vorn herum und setzte mich darauf.
»Willst du dich immer noch betrinken?«
Pauls Augen waren doppelt so groß wie sonst. »Mann, woher hast du das?«
Ich griff hinter mich, nahm einen Stift vom Schreibtisch und schrieb
die Liste,
ohne so recht zu wissen, warum. Aber danach fühlte ich mich besser. »Der Erzengel Michael ist vom Himmel herabgekommen, und ich habe ihn gebeten: ›Sage mir, wie ich meinen Freund Paul von dem Besenstiel erlösen kann, welchen er verschlucket hat‹, und er antwortete: ›Das hier dürfte ganz nützlich sein.‹ Und er gab mir ein Sixpack Heineken. Frag mich nicht, warum ausgerechnet Heineken.«
»Ist das denn genug, um mich betrunken zu machen?« Paul betrachtete das Sixpack immer noch, als stünde eine Wasserstoffbombe im Zimmer. »Im Film trinken sie so was andauernd und werden nie besoffen.«
»Eine Bierjungfrau wie du schon.« Ich war höchst erfreut darüber, dass ich dank meiner weisen Voraussicht nicht zu fürchten brauchte, Paul könnte sich übergeben. Ich mochte Paul sehr, aber ich wollte keine der kostbaren Minuten meines Lebens der Aufgabe widmen, seine Kotze aufzuwischen. »Und das ist alles für dich.«
Panisch starrte Paul mich an. »Du trinkst nichts?«
»Alles, was das Bewusstsein verändert, macht mich nervös.« Ich kippte die Bleistifte und Kulis aus dem Becher, der uns als Stiftehalter diente. Klappernd fielen sie auf den Schreibtisch und rollten überallhin. Ich reichte Paul den Stiftebecher.
»Das liegt daran, dass du immer alles unter Kontrolle haben möchtest«, erklärte Paul und zeigte sich damit so einsichtig wie selten. Er betrachtete den Becher in seiner Hand. »Wozu ist der?«
»Für den Fall, dass es dir peinlich sein sollte, aus der Flasche zu trinken.«
»Aber, Mann, da ist Bleistiftdreck und wer weiß was drin.«
Ich reichte ihm eine Flasche Bier, wandte mich zum Schreibtisch um, nahm einen der dicken Filzstifte, die ich aus dem Becher gekippt hatte, und suchte mir ein Stück Papier. Eifrig begann ich zu kritzeln, und der Raum füllte sich mit dem durchdringenden Geruch von wasserfestem Filzstift. »Oh, Verzeihung, Prinzessin. Und jetzt hoch die Tassen! Die Pizza, die ich bestellt habe, müsste auch gleich kommen.«
»Was machst du denn da?«
»Ich sorge dafür, dass wir ungestört sind.« Ich zeigte ihm das Schild, das ich kreiert hatte.
Paul ist unpässlich. Er braucht seinen Schönheitsschlaf, bitte nicht stören. Küsschen, Paul.
Um seinen Namen hatte ich sogar ein Herz gemalt.
»Du Arsch«, sagte Paul, als ich aufstand und die Tür gerade lang genug öffnete, um das Schild mit einem Klebestreifen draußen zu befestigen. Hinter mir hörte ich das Plopp, mit dem er die erste Flasche öffnete. »Mann, das riecht widerlich.«
»Willkommen in der Welt des Biers, mein Freund.« Ich warf mich aufs Bett. »Wie alle anderen Laster auch kommt es mit einer Warnung daher, die wir normalerweise ignorieren.«
Paul rieb über das Schwitzwasser, das sich an der Flasche gebildet hatte. »Was ist mit den Etiketten passiert?«
Er hatte ja keine Ahnung, wie lange ich gebraucht hatte, um sämtliche Etiketten zu entfernen und die Kronkorken auszutauschen. Wahre Liebesmüh. »Flaschen, die ein schief aufgeklebtes oder gar kein Etikett haben, bekommt man billiger.«
»Tatsächlich? Gut zu wissen.« Paul verzog das Gesicht und trank einen Schluck. »Woran merke ich eigentlich, dass ich betrunken werde?«
»Du fängst an, dich so lustig zu fühlen wie ich. Na ja, jedenfalls lustiger, als du sonst bist. Da hilft ja jedes kleinste bisschen.«
Paul bewarf mich mit dem Kronkorken.
»Trink die erste Flasche aus, bevor das Essen kommt«, riet ich ihm. »Auf leeren Magen wirkt es besser.«
Ich sah zu, wie Paul die halbe Flasche austrank, dann sprang ich auf und ging zu meinem CD -Player. »Wo sind deine CD s, Paul? Dieses Ereignis verlangt nach Musik.«
Paul kippte die andere Hälfte herunter und deutete unter sein Bett. Ich reichte ihm die nächste Flasche, ehe ich mich neben sein Bett auf den Boden legte und mich seelisch auf das Schlimmste vorbereitete.
Mit ungeheurer Willenskraft verbiss ich mir einen lauten Fluch. Unter Pauls Bett blitzten mir Nualas Augen mit boshaftem Humor entgegen, nur wenige Fingerbreit vor meinem
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