Mitternachtskinder
formten immer noch ein Wort, als meine Lippen sie berührten. Meine Haut kribbelte vor Kälte, nur ein bisschen, aber ich bekam keine Gänsehaut.
Ich ließ mich in meinem Sessel zurücksinken und schloss die Augen. Öffnete sie wieder. Sog die Unterlippe zwischen die Zähne, die ganz nach Sommer und Nuala schmeckte, und schob sie dann wieder hinaus.
Nuala sah mich an.
»War das okay?«, fragte ich.
Ihre Stimme klang so unglaublich beiläufig, dass mir klar war, welche Anstrengung dazu nötig war. »Das war ein guter Kuss. Ich meine, bilde dir bloß nichts ein, das war nicht gerade der beste Kuss, den die Welt je gesehen hat, aber …«
»War es okay, dich zu küssen?«, wiederholte ich. Ich sagte das ganz langsam und vorsichtig, weil ich versuchte, diese Frage auch für mich selbst zu beantworten.
Nuala starrte mich nur an, und ich starrte zurück. Dann löste sie vorsichtig meine Finger von ihren, zog ihre Knie von meinen zurück und stand auf. Sie starrte weiter, und das blonde Haar umrahmte ihr Gesicht, während sie auf mich herabschaute wie ein mordender Engel. Ich erwiderte einfach nur ihren Blick, und ich tat das so intensiv, dass ich ganz vergaß, auf meinen Gesichtsausdruck zu achten.
Ganz langsam stieg Nuala auf meinen Sessel, setzte sich auf meinen Schoß und zog die glatten, nach Sommer duftenden Beine links und rechts von mir an.
Heilige Scheiße.
Ich versuchte immer noch, eine gewisse Kontrolle über mein Hirn zu behalten, als sie meine Arme anhob, einen nach dem anderen, und sie um ihren Oberkörper schlang.
Schließlich beugte sie sich mit einem verschwörerischen, durchtriebenen Lächeln zu mir herab, das mich so anmachte, wie mich noch nie irgendetwas angemacht hatte.
Und dann küsste sie mich.
Vermutlich kommt man in die Hölle, wenn man mit einer Fee herumknutscht.
Ich erwiderte den Kuss.
Eine Sekunde, bevor ich ihre Stimme hörte, wachte ich auf.
»Wach auf!« Nuala sprach direkt in mein Ohr. »Da draußen ist jemand.«
Ich öffnete die Augen. Mein rechtes Bein war eingeschlafen, weil Nuala daraufsaß, die sich neben mich in den bequemsten Sessel der Welt gequetscht hatte. »Verdammt«, zischte ich ihr zu. »Mein Bein ist taub.«
Nuala glitt von meinem Schoß, landete lautlos neben dem Sessel, blickte auf ihre Hand hinab und machte ein überraschtes Gesicht, als sie merkte, dass ich immer noch ihre Finger festhielt. Ich benutzte sie als Gegengewicht, um mich aus dem Sessel zu hieven, und verzog das Gesicht, als mein kribbelnder Fuß den Boden berührte. Ich konnte nichts hören.
Was tun wir jetzt?
Nualas Stimme war kaum zu verstehen. »Ich will zuhören.«
Hand in Hand gingen wir auf die Hintertür zu. Na ja, Nuala ging. Ich humpelte und kam mir ziemlich dumm vor. Wir blieben direkt hinter der Doppeltür stehen, waren in warme Dunkelheit gehüllt. Einen guten Meter standen wir voneinander entfernt, aber wir hielten uns immer noch fest an den Händen. Als spielten wir »Der Kaiser schickt seine Soldaten aus« und warteten darauf, dass etwas zur Tür hereinstürmte und versuchte, unsere Verteidigung zu durchbrechen.
Jetzt nahm ich auch wahr, was Nuala gehört hatte.
Sullivan.
Vor der Tür redeten zwei Leute miteinander, und eine der Stimmen gehörte unzweifelhaft Sullivan. Er sprach präzise und heftig. »… wissen, was Sie hier zu suchen haben. Mitten in der Nacht vor unserem Wohnheim.«
Die andere Stimme klang hochmütig, weiblich und irgendwie vertraut. »Ich zelte in der Nähe. Ich konnte nicht schlafen, also wollte ich einen Spaziergang in den Ort machen.«
»Schwachsinn. Ich habe gesehen, wie Sie den Thymian angezündet haben. Ich weiß, wozu das dient. Glauben Sie, ich hätte nicht gemerkt, dass hier etwas läuft?«
Rasch neigte Nuala sich zu mir herüber, presste die Lippen an mein Ohr, damit ihre Worte zu niemand anderem dringen konnten, und flüsterte: »Ich erkenne ihre Stimme. Sie hat einige Feen ermordet.«
Mir blieb keine Zeit, mich darüber zu wundern, dass die Stimme sowohl Nuala als auch mir bekannt vorkam. Die Unterhaltung auf der anderen Seite der Tür wurde fortgesetzt.
»Sie halten sich vermutlich für sehr viel klüger, als Sie wirklich sind«, sagte die Frauenstimme. Ich konnte sie
beinahe
zuordnen, allein deshalb, weil sie so vor Verachtung troff. »Aber Sie wissen im Grunde gar nichts. Ich finde, Sie sollten jetzt meinen Arm loslassen, ehe ich richtig wütend werde und beschließe, der Polizei etwas wenig Angenehmes über Sie zu
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