Mitternachtskinder
wird mir vermutlich einen weiteren vernichtenden Blick einbringen, aber – bist du dir sicher?«
»Bei was? Dass du ein Idiot bist?« Nuala lachte abfällig, doch ihre Finger zitterten in meinen. Ich hielt sie fester, damit es aufhörte.
»Sicher, dass du verbrennen wirst.«
»Warst du sicher, dass du bei einem Autounfall ums Leben kommen würdest?«
Da hatte sie recht. Ich verzog das Gesicht.
»Ich
weiß
es einfach, okay? Alle anderen wissen es, und eine Million Feen haben es mir gesagt, aber ich wusste es auch schon vorher. Ich kann nicht einmal die Nähe einer Kerze ertragen.« Nualas Schultern zitterten, und sie presste die Arme an den Körper. »Die letzten paar Jahre dachte ich, dass das Sterben am meisten weh tun müsste, weil ich schließlich nichts hatte, woran ich mich unbedingt erinnern wollte. Nichts, was ich nicht einfach noch einmal tun konnte, verstehst du? Aber jetzt ist es das Vergessen. Ich will nicht vergessen.«
»Was ist denn jetzt anders?«
Mit wütendem Gesicht starrte Nuala mich an. »
Du
, du Arschloch! Du hast alles verdorben. Du hast alles
unmöglich
gemacht.«
Wenn die Leute sagen »Mir blieb das Herz stehen«, ist das Blödsinn. Was sie damit eigentlich meinen, ist, dass das Herz irgendwie stottert und kurz darüber nachdenkt, stehenzubleiben, ehe ihm wieder einfällt, dass ihm das Schlagen besser bekommt.
O Scheiße, nicht, Nuala. Nicht ich. Nicht das dumme Großmaul James.
Sie zerrte an meinen Händen. »Sei still! Ich weiß schon, dass du ein Arsch bist.«
»Na,
dann
ist es ja gut.«
Nuala ersparte mir die Notwendigkeit, mir einfallen zu lassen, was ich als Nächstes sagen sollte. »Ich habe über Anziehung nachgedacht. Ich habe eine Theorie darüber. Über die Liebe.« Sie wich meinem Blick aus.
Ich schluckte, brachte aber hervor: »Da bin ich ja mal gespannt.«
Nuala schaute mich böse an. »Halt den Mund. Ich glaube nicht, dass Liebe etwas damit zu tun hat, wie die andere Person ist. Na ja, vielleicht ein bisschen. Ich glaube, worauf es wirklich ankommt, ist man selbst. Ich meine, du weißt schon … Nehmen wir mal an, du lie… du magst einen ichbezogenen Idioten. Das spielt keine Rolle. Es zählt nur, welches Gefühl dir dieser Idiot gibt. Wenn du dich in seiner Nähe fühlst wie der beste Mensch auf der Welt, dann bringt dich das dazu, ihn zu mögen. Es geht überhaupt nicht darum, ob er ein netter Mensch ist oder nicht.«
Mit der Zunge fuhr ich mir über die Unterlippe. »Das gefällt mir. Könnte ein Buchtitel sein:
Einführung in die Liebe für Egoisten.
Ich bin nicht in dich, Baby, ich bin in
mich selbst
verliebt.«
Verlegen lächelte Nuala vor sich hin. »Ich wusste doch, dass du verstehen würdest, was ich meine.« Sie zögerte, und als sie wieder zu reden anfing, war es, als könnte sie nicht aufhören, als platzten die Worte einfach von selbst aus ihr heraus. »Es gefällt mir, wie ich jetzt aussehe. Es gefällt mir, wie ich mich verhalte. Alle glauben, ich würde dir auflauern und dir das Leben aussaugen, weil ich dich so sehr will, weil du ein so großartiger Pfeifer bist. Sie glauben, ich könnte nicht widerstehen. Aber das
kann
ich. Da sitzt du nun und siehst
unglaublich
aus, und ich habe nichts von dir genommen. Ich will gar nicht. Ich meine, ich will schon, ich
sterbe
vor Gier, aber ich will nicht, dass du auch nur einen Tag von deinem Leben für mich opferst. Das ist mir noch nie passiert. Ich bin …
stolz
auf mich. Ich bin nicht nur ein Parasit. Ich bin nicht bloß irgendeine Fee. Ich will dich nicht benutzen. Ich will nur die sein, die ich bin, wenn ich mir dir zusammen bin.«
Darauf fiel mir keine Antwort ein. Ich wusste nicht, was ich dabei empfand. Mir war nicht danach, etwas auf meine Hände zu schreiben. Mir war auch nicht danach, aufzuspringen und davonzulaufen. Mir war das weder peinlich noch unheimlich, ich fror nicht, war nicht hungrig oder sonst irgendetwas. Mir war einfach danach, hier zu sitzen, mit meinen Knien an ihren Knien und meiner Stirn an dem Knäuel unserer verschlungenen Finger.
»Ich will nicht vergessen, dass ich mich in dich verliebt und dich deshalb nicht getötet habe«, sagte Nuala. Ihre Stimme klang komisch – es fiel ihr schwer, all das auszusprechen. »Du brauchst nichts zu sagen. Ich weiß, dass du in die dämliche, egoistische Nicht-Freundin verliebt bist, nicht in mich. Das ist okay. Ich habe nur …«
Ich beugte mich vor und küsste sie. Ich weiß, dass ich sie damit überraschte, denn ihre Lippen
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