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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Wangenknochen, die tatsächlich mehr hervorzustehen schienen als bei unserer ersten Begegnung. Ich zeichnete die dunklen Ringe unter ihren geschlossenen Augen nach. Ein merkwürdiges, klägliches Gefühl gab mir den Wunsch ein, mich neben sie zu legen und auch die Augen zu schließen.
    Ein fruchtiger Geruch begleitete Sullivan, als er zurückkam. »Das ist Limonade«, sagte er entschuldigend. Sein Blick blieb kurz an meinen Fingern auf Nualas Haut hängen. »Das Zuckerigste, was ich im Hause habe. Honig hätte ich auch, aber das kommt mir zu klebrig vor. Richte sie auf. Ich hoffe, sie ist noch genug bei Bewusstsein, um zu schlucken. Ich habe keine Ahnung, was ich hier tue.«
    Sie passte gut in meine Armbeuge. Zusammen versuchten Sullivan und ich uns an einer miserablen Krankenschwesternnummer. Ich hielt ihren Unterkiefer, und er kippte ihr vorsichtig etwas Limonade in den Mund.
    »Pass auf, dass sie nicht erstickt.«
    Ich neigte ihren Kopf nach hinten und strich mit der Hand über ihre Kehle. Das hatte ich bei Dee beobachtet, wenn sie versuchte, ihren Hund dazu zu bringen, dass er eine Tablette schluckte.
    Nuala schluckte.
    Noch mal von vorn. Wir machten weiter, bis sie etwa ein halbes Glas Limo getrunken hatte, und dann hustete sie.
    Husten war gut – oder?
    »Mehr?«, fragte Sullivan. Ich wusste nicht, wen er fragte, denn ich hatte ganz sicher keine Ahnung.
    Nuala schlug die Augen auf. Eine Sekunde lang war ihr Blick völlig verschwommen, doch dann sah ich, wie er sich langsam in meine Richtung bewegte, dann zu Sullivan und schließlich durchs Zimmer.
    Und was sie dann sagte, war typisch Nuala. »Oh, Scheiße.«

[home]
    Nuala
    Er beißt nicht, sondern knabbert, mein Freund, der Tod
    Trägt mich ab, bis ich klein bin wie ein Kind
    Bald klein genug, um Platz in seiner Hand zu finden,
    Mit einem Bissen zu verschwinden hinter seinem sanften Lächeln.
    Aus Die Goldene Zunge:
Gedichte von Steven Slaughter
    F ühlst du dich besser?«, fragte James.
    Aus irgendeinem Grund erinnerte er mich an einen Apfel. Sein Gesicht war gebräunt, weil er mit seinem Dudelsack so viele Nachmittage draußen verbracht hatte, und jetzt, da sein geschorenes Haar zu wachsen begann, wirkte es noch rötlicher als zuvor. Während er so neben mir auf dem Hügel stand und mit den Fingern über die Rispen goldener Gräser strich, erinnerte mich alles an ihm irgendwie an Äpfel.
    Eben genau an die Früchte, die zum Ende des Jahres gehörten und abwarteten, bis der Sommer sicher vorüber war, ehe sie sich zeigten.
    Ich zerknüllte die Verpackung eines Müsliriegels in der Hand. »Alles ist wohl besser, als ohnmächtig zu sein, schätze ich. Warum will Sullivan mich auf diesem Hügel haben? Ich bin kein Waschbär, den du in deiner Mülltonne gefunden hast. Ihr könnt mich nicht einfach wieder in der Wildnis aussetzen und erwarten, dass ich verschwinde.«
    James lächelte halb, doch ich bemerkte, wie seine Finger den Troststein rieben. »Ich glaube nicht, dass er von dir erwartet, in der Wildnis zu verschwinden, meine liebe Natter. Vielleicht hofft er es. Aber er rechnet sicher nicht damit. Er hat gesagt, dass er mit dir reden will.«
    »Ich kann überall mit ihm reden.«
    »Ach,
das
ist mir klar. Ich verstehe allerdings, warum er lieber hier reden will, du nicht? Deine … etwas ungewöhnliche Erscheinung könnte auf dem Schulgelände Aufmerksamkeit erregen. Vor allem im Jungenwohnheim.«
    Das Gras raschelte unter meinem Rücken, als ich mich hineinlegte und zum tiefblauen Himmel hinaufstarrte. Es war keine Wolke da oben, und im Liegen konnte ich auch die leuchtend bunt gefärbten Bäume am Fuß des Hügels nicht mehr sehen. Trotzdem verkündete alles an diesem Tag – die Kühle der Luft, der Geruch nach Holzrauch, der frische Wind, der uns umwehte –, dass Halloween nicht mehr weit war.
    James ragte über mir, sein Schatten fiel auf meinen Körper. Es wurde kalt, wo die Sonne mich nicht mehr berührte. »Alles in Ordnung?«
    »Hör auf, mich das ständig zu fragen«, erwiderte ich. »Es geht mir großartig. Ausgezeichnet. Verdammt hervorragend. Ich könnte nicht glücklicher sein. Wie hast du mich gefunden?«
    »Du liegst keine zwei Schritte von mir entfernt im Gras. War nicht gerade schwierig.«
    »Leg dich hin, damit ich dich hauen kann«, sagte ich, und er lächelte. »Ich meine vorhin. Wie hast du mich auf dem Hügel gefunden, als ich ohnmächtig war? Es war ja praktisch noch Nacht.«
    Du meine Güte, er wurde rot. Es wäre mir nie in den

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