Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
Vom Netzwerk:
freiwillig nie tun würdest.«
    »Weshalb ich ihn niemals jemandem nennen würde«, gab ich zurück.
    Erneut blickte er auf seine Hand hinab, und seine Wimpern verbargen seine Augen. »Ja, ich weiß.«
    »Außer dir.« Ich richtete mich auf, so dass ich ihn direkt anschauen konnte. »Aber du musst mir etwas versprechen.«
    James’ Augen waren weit aufgerissen, und seine Miene war entweder unschuldig oder verblüfft. Ich wusste es nicht genau, denn ich hatte bisher weder den einen noch den anderen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen. »Was denn?«
    »Versprich mir, dass du mich nicht … zu solchen Sachen zwingen wirst.«
    »Nuala«, entgegnete James ernst, »ich würde dich niemals dazu zwingen, dir einen Steven-Seagal-Film anzuschauen.«
    Er wusste es nicht. Wusste nicht, welch gewaltige Bedeutung das für mich hatte. Niemand nannte einem Menschen seinen wahren Namen. Niemand. »Versprich mir … versprich mir, dass …« Ich hatte keine Ahnung, was ich ihn versprechen lassen sollte. Als bedeutete das Wort eines Menschen überhaupt etwas. Sie konnten ungestraft lügen.
    James beugte sich vor, und einen Moment lang dachte ich, er würde mich küssen. Doch stattdessen schlang er die Arme um mich und schmiegte die Wange an meine. Ich konnte seinen Herzschlag spüren, langsam, fest und warm, halb so schnell wie meiner, und seine unregelmäßigen, kurzen Atemzüge an meiner Wange. Ein Kuss konnte niemals so viel ausdrücken wie das hier. »Nuala«, sagte er, und seine Stimme war leise und seltsam – heiser. »Hab keine Angst vor mir. Du brauchst ihn mir ja nicht zu sagen. Aber ich … ich würde das für dich tun, wenn du möchtest. Ich weiß, dass es da irgendwo einen Haken geben muss, aber ich würde es versuchen.«
    Ich schloss die Augen. Das war zu viel. Die Möglichkeit, meine Erinnerungen zu behalten, die Worte der beiden Feen gestern Nacht beim Tanz, die Gefahr, jemandem meinen Namen zu nennen, seine Worte in meinem Ohr. Ich hatte nicht gewollt, dass es so weit ging.
    Ich kniff die Augen so fest zu, dass ich flackernde graue Lichter aufblitzen sah.
»Amhrán-Liath-na-Méine.«
    Mir war schwindelig, nachdem ich das gesagt hatte. Ich hatte ihn tatsächlich laut ausgesprochen. Ich hatte es wirklich getan.
    James drückte mich fester an sich, als könnte er dadurch mein Zittern abstellen. Er flüsterte: »Na, Gott sei Dank. Ich dachte schon, du sagst Izzy Leopard. Dann hätte ich lachen müssen, und du hättest mich vermutlich umgebracht.«
    »Du bist so ein Idiot«, sagte ich, aber ich war erleichtert. Zu Tode verängstigt, aber erleichtert.
    James ließ mich los. Hastig vergewisserte ich mich, dass ich meine Gesichtszüge unter Kontrolle hatte, ehe er mich sah. Er lehnte sich zurück und bewegte die Beine. »Mein Hintern schläft ein. Meinst du, es wäre schlimm, wenn ich ihn ein bisschen falsch ausspreche? Ich meine, das ist nicht gerade ein einfacher Name.«
    »Das ist eine ernste Sache!« Das klang heftiger, als ich beabsichtigt hatte. Ich sollte ihn nicht so anfahren. Schließlich
wusste
ich ja, dass er selbst dann Witze machte, wenn er etwas ernst meinte. Aber es war schwierig, das nicht zu vergessen, wenn ich nicht zur Unterstützung seine Gedanken lesen konnte.
    »Ich weiß, dass das ernst ist, du Irre«, meinte er. »Vielleicht das Ernsteste, was ich je getan habe.«
    Wir fuhren beide zusammen, als sein Telefon klingelte. James holte es aus der Hosentasche und blickte stirnrunzelnd auf das Display. »Es ist Sullivan.«
    Er klappte das Handy auf und beugte sich dicht zu mir herüber, so dass das Telefon zwischen seinem und meinem Ohr steckte. »Ja?«
    »James?«
    »Warum
fragen
das alle ständig?«, ereiferte sich James. »Ja, ich bin dran.Warum sollte jemand anderes an mein Handy gehen?«
    Sullivans Stimme klang sehr fern. »Entschuldige. Du hörst dich am Telefon so anders an.« Er zögerte kurz und fragte dann vorsichtig: »Ist sie noch da?«
    »Natürlich ist sie noch da.«
    »Also, es tut mir leid, dass ihr schon so lange da oben wartet. Es gibt … Verdammt. Moment mal.« Eine Pause. »Entschuldigung. James, kannst du mit ihr in die Stadt fahren? Zum Restaurant? Setzt euch an einen der Tische draußen. Einen von den Eisentischen. Hält sie das aus?«
    »Ja.«
    »Okay. Also dann. Wir sehen uns dort so in einer Viertelstunde.« Erneut zögerte Sullivan. »James …« Eine weitere Pause, dann ein Seufzen. »James, sag den anderen Schülern nichts davon. Hast du Deirdre Monaghan in letzter Zeit

Weitere Kostenlose Bücher