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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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irgendwo gesehen?«

[home]
    James
    U m uns herum sangen die Vögel, Autos surrten am Restaurant vorbei, und der Tag war schön.
    Vorsichtig legte ich die Hände auf den Tisch und rieb Nualas Stein zwischen den Fingern. Der Drang,
Schuld
auf meine Haut zu schreiben, war so stark, dass ich die Buchstaben fast auf der Zunge schmecken konnte. Bitter.
    »Es war nicht fair von Sullivan, dir das zu sagen«, bemerkte Nuala. Sie funkelte die Kellnerin an, die mit unserem Wasser zu uns kam. »Ja, ist gut. Schon gut. Lassen Sie sie einfach stehen!« Das galt der Bedienung, die versuchte, meinen Blick aufzufangen, während sie die Wassergläser auf dem Tisch arrangierte. »Wirklich. Wir warten noch auf jemanden. Bitte …« Nuala machte eine Geste, als schüttelte sie sich Wasser von den Fingern.
    Die Kellnerin ging.
    Ich überlegte, was ich zuletzt zu Dee gesagt hatte. War es etwas furchtbar Gemeines gewesen? Ich hatte sie nicht mehr gesehen, seit ich sie Nuala praktisch zum Fraß vorgeworfen hatte – aber ich konnte mich nicht erinnern, wie abscheulich ich zu ihr gewesen war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich etwas Schreckliches gesagt haben musste. Irgendwie war ihr Verschwinden meine Schuld.
    »Pfeifer«, fauchte Nuala. »Er hat nicht gesagt, dass ihr irgendetwas zugestoßen wäre. Er hat dich nur gefragt, ob du sie gesehen hast. Es nützt niemandem, wenn du dich verrückt machst.« Sie öffnete den Mund, als wollte sie noch etwas hinzufügen. Stattdessen kippelte sie mit dem Stuhl zu dem Tisch hinter sich und schnappte sich den Stift, der dort auf der Rechnung liegen geblieben war. Sie reichte ihn mir. »Na los.«
    Noch etwas, weshalb ich mich schuldig fühlte. Meine Haut war inzwischen fast frei von Buchstaben, und nun hatte ich gerade einen Rückfall.
    Sie drückte mir den Stift in die Finger. »Oder willst du, dass ich etwas für dich schreibe?«
    Erleichterung durchströmte mich, sobald ich die Spitze des Kulis auf meinen Handrücken setzte. Ich kritzelte
Fluss schwarz
auf meine Haut, ließ den Kuli klicken und seufzte.
    »Was zum Teufel soll das bedeuten?«, fragte Nuala.
    Ich wusste es nicht. Es fühlte sich nur gut an, dass ich es herausgelassen hatte.
    Nuala nahm meinen kleinen Finger und zwickte kräftig hinein. »Ich kann deine Gedanken nicht mehr lesen. Du musst mit mir
reden

    »Ich weiß nicht, was das bedeutet«, erwiderte ich. »Ich wusste bei der Hälfte von dem Zeug auf meinen Händen nicht, was es bedeuten soll, als ich dir begegnet bin.«
    Stirnrunzelnd sah sie mich an, blickte aber auf, als ein gehetzt aussehender Sullivan aus dem Restaurant auf die Terrasse trat. In der Tür traf er auf die Kellnerin. Er beugte sich vor, sagte etwas zu ihr und kam dann an unseren Tisch.
    Er öffnete den Mund, aber ich war schneller. »Haben sie Dee schon gefunden?«
    Sullivan schüttelte den Kopf. »Nein.« Er rückte nervös seinen Stuhl zurecht, bis er mit der Distanz zur Tischplatte zufrieden war. »Aber bitte mach dich deswegen nicht verrückt, James. Ich habe es dir nur gesagt, weil ich weiß, dass ihr befreundet seid. Deshalb dachte ich, du hättest von ihr gehört. Ich habe so sehr gehofft, dass sie dich vielleicht angerufen hat. Es gibt tausend harmlose Orte, an denen sie sich aufhalten könnte.«
    Nuala warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. Allerdings hatte ich keine Ahnung, was sie mir damit mitteilen wollte.
    »Und tausend alles andere als harmlose Orte, wo sie jetzt sein könnte«, entgegnete ich.
    »Das gilt für uns alle.« Sullivan klappte die Karte auf, schaute jedoch nicht hinein. »Es suchen schon Leute nach ihr, aber wir können nur von Vermutungen ausgehen. Im Moment gilt meine Aufmerksamkeit ganz dem eindeutigen Problem vor meiner Nase.«
    »Mir«, sagte Nuala. Als Sullivan sie ansah, fuhr sie fort: »Schon kapiert. Sie hassen mich. Ist aber nichts Persönliches.«
    Sullivan verzog das Gesicht. »Ach was. Ich hasse dich nicht. Ich traue dir nur nicht. Und … es geht wirklich nicht einmal um dich persönlich. Mir ist nur noch nie ein harmloses Wesen deiner Art begegnet.«
    »Das gilt auch jetzt noch«, stellte Nuala mit einem Lächeln klar, das an ein Knurren erinnerte. »Aber ich würde James niemals etwas antun.«
    Er betrachtete mich. »Hast du dem etwas hinzuzufügen, James?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich glaube ihr. Ich habe Ihnen schon mal gesagt, dass wir keinen Pakt geschlossen haben. Sie hat mir nichts weggenommen.« Und sie küsste phantastisch und wusste mehr

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