Mitternachtslöwe (German Edition)
Stimme er hören sollte. Auf die seiner Freunde oder auf seine innere, kriegerische.
Das Stahlross raste durch die Länder des Deutschen Reichs, unaufhaltsam in den Schoß des Feindes hinein.
Der Würger im Wagon vor ihnen sah nach einem Tag ein, dass es ihn nicht weiter zu seinen Opfern bringen würde, wenn er sich wie verrückt gegen seinen Käfig schmiss. Gelegentlich hörte man noch ein verärgertes Jaulen.
Trotz der Nähe des Würgers und seines Herrchen Vitus genossen die Reisenden die Fahrt. Zugegeben war dies nicht die komfortabelste Art zu reisen, geschweige denn die sicherste, aber eine sehr schnelle.
Da ihre Vorräte dank der alten Dame Mimmi gut aufgefüllt waren, beschlossen sie die Gunst der Stunde zu nutzen und in aller Ruhe gemeinsam zu speisen. Aus den Kisten und Fässern im Wagon bauten die fünf sich so etwas wie einen Frühstückstisch mit Sitzgelegenheiten. Nicht sehr bequem, aber das war egal. Die gute Mimmi hatte sie mit Brot, Käse und Wurst versorgt. Dazu gab es eine besondere Butter. Diese war mit vielen Kräutern versetzt, schmackhaft, nahrhaft und gesund. Nur Emma hätte gegen ein Schälchen Milch nichts einzuwenden gehabt, bestand ihre Flüssigversorgung lediglich aus wassergefüllten Feldflaschen.
»Mann, ich bin vielleicht aufgeregt. Endlich treffe ich meine Familie wieder. Ich hoffe es geht ihnen gut«, sagte Odilo und schnitt ein Stück Wurst für Emma klein.
»Dann trennen sich unsere Wege in Ulm?«, fragte Sophia.
Sichtlich traurig und ohne Grinsen zog Odilo die Lippen zusammen und nickte.
»Ohne Euch wären wir nicht so weit gekommen«, sagte Byrger, »Wir sind Euch wirklich zu Dank verpflichtet.«
»Ach was«, grinste der Mann mit vollem Haar und dem Spitzbart, »Ich hab euch wirklich gern geholfen. War schon eine verrückte Reise.«
Die restliche Zeit des Essens über plauderten sie über das, was sie gemeinsam in Lübeck, auf den nächtlichen Kutschfahrten, im Lager des Regimes und im Moor bei Mimmi erlebt hatten. Und obwohl die meisten dieser Ereignisse weniger froh und spaßig, ja eigentlich keins von beiden auch nur ein bisschen davon, waren, schien dies schon allzu fern.
Da wurde Sophia klar, dass die Familie sich bald von einem seiner Mitglieder verabschieden musste.
Zu beiden Seiten des Wagons hinaus hielten Abaris und Byrger Ausschau. Nicht mehr lange, so schätzten sie, bis das Ungetüm aus Metall die Mauern von Ulm erreichen würde.
Weder Sorgen noch Gedanken über das Regime verschwendend spielten Odilo und Maria vergnügt mit Emma. Irgendwie hatte Maria eine kleine Spielzeugmaus gebastelt, Sophia meinte zu erkennen, dass sie aus einer alten Nussschale und einer Schnurr bestand, deren von Marias Hand geführte Bewegungen die samtige Dame in silberblau aufmerksam verfolgte.
»Schnapp das Mäuschen«, forderte das Mädchen ihre kleine Freundin spielerisch auf, »sonst verkriecht sie sich und lacht dich aus.«
Das wusste Emma zu verhindern, ging in Angriffsstellung, wartete geduldig ab und packte pfeilschnell das unechte Nagetier am Fadenschwanz.
»Gut gemacht«, lobte das Mädchen sie. »Mietzi-katzi-feini-Tatzi, kriegst von mir nen dicken Schmatzi.«
Beim Anblick des Mädchens füllte sich Sophias Herz mit Wärme, aber auch mit Stolz. Mit ihrer kindlichen Fröhlichkeit brachte Maria selbst in diesen, den schwersten, Tagen jeden Erwachsenen dazu die Welt für einen Moment sich selber zu überlassen. Eine Gabe die anscheint nur Kinder besitzen.
Doch jeder Moment geht einmal vorbei und so holte die Realität auch diesmal Sophia wieder ein. Sie nutzte die Zeit im Büchlein ihres Vaters zu stöbern. Beim Öffnen ihres Reisesacks sah Sophia sehr verwundert drein. Sie holte das Objekt welches sie so verwundern ließ heraus. Daran hing ein kleines Stück Papier.
Liebe Sophia,
ich bin mir sicher einer jungen, hübschen Frau wie dir wird es wunderbar stehen. Möge es dir auf eurer Reise noch von Nutzen sein und sei es nur, um dir ein wohliges Gefühl zu bereiten.
Alles Gute,
Mimmi
Eine kleine Träne der Freude lief Sophia über die Wange, als sie das schwarze Kleid, mit dem sie in Mimmis Haus so liebäugelte, in ihren Händen hielt. Sorgsam legte sie es zurück und widmete sich den Aufzeichnungen ihres Vaters. Jeden Hinweis über den Schatz in Ulm lass sie ganz genau, was sich nicht immer als einfach herausstellte, waren es oft nur Fragmente oder Gedanken die ihr Vater aufgeschrieben hatte. Glücklicherweise hatte
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