Mitternachtslöwe (German Edition)
Soldaten des Regimes, wie sie mit ihren Maschinen und Geräten versuchten die Mauer der Stadt zu durchbrechen oder über sie hinwegzusteigen. Genauso wie sie die Bemühungen der Einwohner deutlich erkannte, die sich mit aller Macht zu wehren wussten und sich nicht durch die Federmäntel kleinmachen ließen. Sie fühlte den trockenen Atem des eisigen Windes, wie er ihr den Nacken entlang und durch die Haare streifte. Entgegen dieser Kälte hoch oben in der Luft spürte sie aber auch die Wärme zu Maria, ihrer Tochter, und die von Abaris, dem Luftwanderer, ihrem Freund aus dem Süden. Allein die unklaren Klänge unter ihr erinnerten sie daran, dass zu ihren Füßen ein unerbittlicher Kampf wütete.
»Sucht eine kleine Gasse wo wir ungestört sind«, sagte Byrger.
Noch einige Momente genoss Sophia die ruhige Welt der Tagträume. Dem Wind entglitt Sophias Haar zwischen den Fingern. Ein letztes Mal fuhr er ihr durch das Haar und blies ihm ein sehnsüchtiges Seufzen hinterher. Das rumorende Kampfgetöse versank, bis nur noch ein dumpfes Schlagen und Murmeln zu hören war.
Sophia öffnete die Augen. Sie blickte direkt in Abaris' braune Augen. Er lächelte. »Alles in Ordnung bei dir?«
Sophia nickte.
»Sind wir jetzt in Ulm?«, fragte Maria.
»Ja«, beugte sich Abaris zu ihr runter, »Wir sind endlich in Ulm.«
»Dank Euch. Seht ihr, Herr Abaris, ohne Euch hätten wir das nicht geschafft«, sprach Byrger.
In einer wirklich schmalen Gasse standen sie. Beunruhigend still war es dort, beinahe gespenstisch. Nur wenn man genau hinhörte, war zu vermuten, dass hinter den Mauern der Krieg tobte. Behutsam gingen sie zum Ende der Gasse, die in eine breite Strasse führte. Komplett leergefegt. Zu ihrer Linken rannten in einiger Entfernung ein paar Männer in Rüstung über die Straße, doch sonst nichts.
»Wo müssen wir denn eigentlich hin?«, fragte Abaris.
»Dort hin.« Byrger zeigte auf einen Berg der rechts die Straße runter in einiger Entfernung über die Häuser ragte. Darauf ein großes Bauwerk, wie eine Kirche, mit großen, langen Fenstern, einfach gehalten, aber dennoch eindrucksvoll, an der Seite ein großer Glockenturm. Das Wengenkloster auf dem Michelsberg. Die Sonne stand tief, genau hinter dem Turm, streckte ihre Arme weit zu beiden Seiten hinter der steinernen Säule hervor, schlängelte sich durch die geriffelten Wolkenbänder hindurch und malte einen fließenden Strom aus goldigem orange in den blauen Himmel. Einsam standen die Reisenden mitten auf der Straße in Ulm und richteten ihren Blick hoch zum Berg.
Doch Sophia beschäftigte ein ganz anderer Gedanke viel mehr. Dies war dasselbe Kloster von dem Mimmi gesprochen hatte, jenes in dem Maria, auf Mimmis Rat hin, Unterkunft finden sollte. Sophia schaute zu ihrer Tochter, die wie alle anderen immer noch das Kloster begutachtete. Sie wollte Maria nicht weggeben oder zurücklassen, doch bald schon müsste sie sich entscheiden.
»Liebe Freunde«, sprach Byrger mit überraschend ehrwürdiger Stimme, »der erste Schatz Paracelsus' liegt vor uns.« Er legte eine Pause ein, nahm seinen Hut ab und strich sich durch den Bart. »Jeder Schritt den wir nun tuen, ist ein Schritt in eine bessere Welt.«
»Dann ist es wohl an der Zeit Lebewohl zu sagen.«
Alle drehten sich um. Odilo stand am Fuße ihrer langgezogenen Schatten, auf seiner Schulter Emma.
»Nein geh nicht!«, rief Maria und rannte ihm zu. Sie schmiss sich Odilo in die Arme.
»Tut mir leid Kleine.« Zwar lächelte Odilo, doch floss ihm auch eine kleine Träne die Wange herunter. »Meine Familie braucht mich.«
»Aber du gehörst doch zu unserer Familie«, weinte das Mädchen.
»Da hat sie recht«, sagte Sophia und trat an Odilo heran, »Ohne dich würden wir nicht hier stehen. Danke.« Auch sie ließ es sich nicht nehmen Odilo um den Hals zu fallen.
»Dasselbe kann ich von euch sagen. Alleine hätte ich es nie hierher geschafft.«
Auch Byrger drückte seinen Dank aus. »Herr Odilo, es wurde eigentlich schon alles gesagt, aber lasst es mich dennoch mit meinen Worten noch einmal wiederholen. Durch eure Hilfe wird die Welt bald in neuem Glanz erstrahlen und dann wird niemand mehr, weder Eure Familie noch die eines jenen anderen, in Angst leben müssen.« Stolz, wie ein Vater der seinen jüngsten Sohn in die Welt ziehen lässt, zog Byrger seinen Hut vor Odilo und schüttelte ihm die Hand.
»Das hört sich wirklich gut an. Ich wünsche euch viel Erfolg bei dem was ihr noch vorhabt«, sagte
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