Mitternachtslöwe (German Edition)
zuvor. Er setzte sein charmantestes Lächeln auf. »Bei einer Sache habe ich nicht gelogen – als ich sagte, dass ich euch gern geholfen habe.« Odilo lies los. Die hochwertigen Massen zogen ihn mit sich. Das Tosen des Strudels verschluckte sein Jubeln und letztendlich auch ihn. Unter das Grollen mischte sich das Klagen eines schwarz-glänzenden Fellknäuels, aus dem zwei winzige, türkisfarbene Knöpfe trauernd ihrem Freund hinterher sahen, wie dieser im Schlund des magischen Strudels unterging.
»Komm Sophia!«, brüllte Abaris, »Raus hier!« Er packte sie am Arm und zog sie hinter sich her. Hinter ihnen brach die Halle zusammen, verschluckt vom Strudel. Mit einem Sprung rettete sich Sophia als Letzte aus dem Durchgang, der hinter ihr in sich zusammen fiel.
Dumpfes Raunen zitterte durch die Luft, begleitet von Staub der wie ein mattes Tuch langsam auf sie herabschwebte.
»Alle wohlauf?«, hustete Abaris.
Von der Zahl des Gestöhns war auszugehen, dass alle noch lebten.
»Zu dumm, dass alles weg ist. Das hätte sich rentiert«, versuchte Abaris seinen Humor aufleben zu lassen.
»Dem muss ich widersprechen. Ich habe einmal ordentlich zugegriffen«, sagte Byrger, während ihm einige der Pergamentrollen aus den Händen fielen.
Geistertanz
»Wir sind gleich da. Dort vorne ist es schon!« Geiger krabbelte wie ein dicker Käfer den Hügel hinauf. »Seht! Der Splittersee«, keuchte er.
Etwas gemächlicher als der feiste Basarbesitzer erreichte Johannes Bureus die Kuppe des Hügels. Inmitten des Waldes lag eine Lichtung. Darin ein See in weißem Schimmer. »Und Ihr meint hier sind wir sicher?«
»Ihr werdet sehen. Kommt!« Geiger stolperte viel zu schnell den Hügel hinab, wie ein kleiner Junge dessen Mutter soeben zum Essen rief und der genau wusste, dass heute sein Leibgericht auf dem Tisch stand. Am Ufer suchte er den Boden ab. »Im Sommer ist der See nur knöcheltief, aber jetzt im Winter... nun, genau genommen ist er dann auch nur knöcheltief, aber gefroren.« Er hob ein paar Steine auf und fing an sie auf den See zu schmeißen.
Geduldig wohnte Bureus dem Schauspiel bei.
»Als Kinder sind wir oft hier her gekommen. Nicht zum Schwimmen, wie gesagt ist der See nicht tief, aber wenn er gefroren ist... ach, seht einfach selber. Erschreckt Euch nicht und habt keine Angst.« Er griff noch eine Hand Steine und warf sie weiter auf die vereiste Fläche. Ein leises Knirschen und Knacken breitete sich über die dünne Eisschicht aus.
»Gut, gleich geht es los.« Und noch mehr Steine flogen aus Geigers Hand auf den See.
Mit einem tiefen Krachen brach das Eis in der Mitte des Sees auseinander. Große Risse krochen in alle Richtungen, bis hin zum Ufer. Dann herrschte Stille. Ein paar Mal hörte Bureus das Eis knistern. Mal nahe am Ufer, dann weiter hinten in der Mitte. Unter der Eisplatte begann es zu knirschen, als schliche eine Meute Laufhunde durch frischen Schnee.
Johannes Bureus trat ein paar Schritte zurück. »Was habt ihr getan?«
»Keine Angst, sie tuen Euch nichts.«
Mit einem lauten Klirren zerbrach das Eis in hunderte Splitter, jeder von ihnen handgroß. Sie erhoben sich vom Boden, levitierten ruhig und verstrahlten ihren Schimmer über die Lichtung.
»So lange habe ich das nicht mehr gemacht. Sind sie nicht wunderschön?«, sprach Geiger mit freudigem Gesicht.
Nach und nach verformten sich die Splitter. Sie dehnten sich aus, verschwommen zu Schemen, bis sich aus ihnen Abbilder längst dahingeschiedener Menschen bildeten. In flatternden Kleidern schwebten sie über dem See, zogen große Kreise und glitten anmutig hinab ans Ufer.
Bureus geriet ins Staunen. Auf all seinen Fahrten in entfernte Länder und Welten war ihm nie etwas Vergleichbares geschehen.
Sachte schwebte ein junges Geistermädchen auf ihn zu. »Guter Mann«, hallte ihre freundliche Stimme, »währt Ihr so gütig mir diesen Tanz zu schenken?«
»Ich weiß nicht ob...«, stammelte Bureus.
»Ihr müsst«, sagte Geiger und schwebte Hand in Hand mit einer Geisterdame davon.
Bureus schaute in das anmutige Antlitz des schleierhaften Mädchens, welches ihm die Hand entgegenstreckte. Ihr langes Haar strömte wie durch leichte Wellen getragen durch die Nacht. Johannes nahm ihre Hand entgegen. »Es ist mir eine Freude.«
Zusammen erhoben sie sich in die Lüfte. Musik ertönte. Der Tanz der Geister begann.
Auf dem schwebenden Parkett tummelten sich zahlreiche Geisterpärchen, die elegant und schwungvoll durch die Nacht kreisten. Darunter,
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