Mitternachtslöwe (German Edition)
Kanals. Endlose Sekunden lang starrte er auf die bauschende Wasseroberfläche über ihm, unfähig sich zu rühren. Eine Hand riss ihn aus dem kühlen Nass. Abaris schnappte nach Luft. Er fuchtelte mit den Händen, um den wässrigen Schleier, der sich wie ein Wasserfall über seine Augen legte, zu verscheuchen, was ihm aber nicht gelingen wollte. Verwaschene Formen huschten zu ihm, versuchten ihm etwas zu sagen, doch ihr Geflüster ging unter. Ein unnatürliches Summen breitete sich in dem Kanal aus, ging über in ein Knistern. Irgendwo vor ihm kreischte eine hohe Stimme auf. Der Luftwanderer griff nach seinem Stab. Mitten in der Bewegung traf Abaris ein lähmender Schlag. Eine gebündelte Gewalt schlingerte durch seine Eingeweide, krabbelte ungezogen schnell von einem Nervenende zum nächsten, bis sie ihren Weg fand von seiner Hand auf den Stab überzuspringen. Der Stab glühte auf, heller als je zuvor. Mit der Hitze eines frischen Rohlings aus dem Schmiedeofen verbrannte das goldene Metall Abaris die Hand. Da entschwand die paralysierende Macht aus seinem Körper, als würde ihn jemand harsch aus dem Fegefeuer stoßen, doch sein Geist in den lodernden Feuern auf Ewig verdammt zurückbleiben. Zischend tauchte der Stab in das Wasser ein, verdampfte es zu einer quirligen Wolke. Das Wasser begann zu blubbern, es kochte. Immer mehr Schwaden stiegen aus dem Kanalwasser empor, bis sich auch der letzte Tropfen verflüchtigte. Der heiße Dampf ätzte Abaris in den Lungen. Unbekannte Hände griffen Abaris und schleppten ihn fort. Zahlreiche weitere Formen tummelten sich rings um ihn herum. Überall Geschrei, das Klirren von Schwertern. Pfeile zischten vorbei. Donnerbüchsen gaben ihre Salven ab. Irgendwo dazwischen verstreute Sophia ein verbales Feuer. Unbekannte zogen Abaris in ein Häuschen hinein und warfen ihn, wie ein rohes Stück Fleisch, auf einen Stuhl. Bedächtig flaute der Wasserstrom vor seinen Augen ab. Ein pelziges, kleines Etwas sah ihn aus der Mitte eines Gesichts an. » Vertudelt ihm die Wunde«, sprach Kommandeur Streu schneidig.
Die Gravur seines Stabs hatte sich fest in Abaris' Fleisch eingebrannt. Die blutige Wunde schmerzte, als würde sie noch immer lohen.
»Nein es geht schon«, sagte Abaris schmerzverbissen, »Mein Stab, wo ist mein Stab? Könnte ich bitte meinen Stab...«
»Abaris«, Sophias Gesicht lag trüb unter einem Bach salziger Tränen, »Er hat Maria. Vitus.« Im Gesicht Sophias spiegelte sich der unerträgliche Schmerz und der Hass der sie durchfuhr wieder.
Das Herz des Südländers pochte auf. Er ballte seine Faust zusammen, dass eine pastöse Masse aus ihr herausfloss. Er schlug sie auf den Tisch, wo sie einen dicken, roten Abdruck hinterließ. »Dieses Drecksschwein!« Eine Hitzigkeit, wie sie ihn noch nie zuvor gepackt hatte, ergriff ihn. »Ich werde dieser Missgeburt endgültig den Gar aus machen!« Statt eines erwarteten, ablehnenden Ausspruchs stimmte Tidesson mit einem verbissenem Nicken zu. Alle drei fasste der gleiche Gedanke.
»Schluss mit diesem Gesäusel!«, schlug Streu einen ruppigen, militärischen Ton an, »Hier macht niemand irgendjemandem irgendetwas aus, es sei den ich gebe den Befehl dazu! Die Kanäle wurden durchbrochelt. Wir brauchen jeden Mann, jeden Knaben«, er stiefelte an Byrger und Sophia vorbei, »und wenn es sein muss jedes Weib, um unsere Stadt zu schützen. Wie ich leider feststellern muss und zu unser aller Bedauern, habt Ihr nichts in den Händen was uns hilfreich sein könnte. Ihr unterliegen nun meinem direkten Befehl. Also macht etwas Hokuspokus und helf unserer Stadt mit vollem Einsatz!« Er drosselte ein wenig seine Stimme. »Tut mir leid um das Mädchen. Habe sehr wohl alles mitbekommen. War selber dabei, hab es mit eigenen Kullern gesehen. Aber das Kind ist verloren und wenn wir jetzt nicht handelen wird es jedem Kind in ganz Ulm nicht anderas ergehen!«
Seine ungehobelten Worte brachten dem Kommandeur eine deftige Ohrfeige Sophias ein. In ihren Augen flammte die Liebe einer Mutter, die es mit den niedersten Kreaturen der Unterwelt persönlich aufnehmen würde, sei es bis zum Tode, auf das ihrer Tochter die Freiheit erhalten bliebe. »Kommt, wir holen Maria zurück!«
Kommandeur Streu rieb sich, völlig baff, noch die Wange, als die Wand direkt neben ihnen zusammenbrach. Das menschengroße Loch gab Sicht auf ein heranrasendes Ungetüm, welches kein Muskelzucken später erneut in die Wand krachte und sie komplett einriss. Die tapferen Soldaten
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