Mitternachtslöwe (German Edition)
Raum, wie ein Kanal der durch ihn hindurch floss, und bildete zwei Ufer.
»Erinnert mich irgendwie an Kreta«, bemerkte Abaris.
»Was ist mit Eleonora?« Sophia schaute hoch zur Decke oder besser gesagt hinab zum Dachboden. Die Nonne lief aufgeregt auf und ab und reagierte nicht auf ihre Zurufe oder Handzeichen. An ihren Lippenbewegungen erkannte Sophia, wie sie oft den Namen ihres Herren aussprach.
»Sieht nicht so aus, als wolle sie uns folgen. Wohl auch besser. Hier wird einem ja ganz schwindelig«, sagte Abaris.
»Hat schon jemand einen Ausgang entdeckt?«, fragte Sophia forsch. Nein, der hohle Quader hatte keinen Ausgang, keinen auf den ersten Blick ersichtlichen.
»Die Magie wird wieder stärker«, sagte Byrger, »Sie kommt«, er schritt auf das Wasserbecken zu und streckte seine Hand mit der Innenseite nach unten aus, »hier her.«
»Ist der Schatz da drin?«, fragte Maria.
»Vielleicht«, antwortete Sophia. Sie riffelte die Stirn zusammen. Das Wasserbecken gefiel ihr nicht. Sie betrachtete die Wasseroberfläche. Leicht grünlich sah es abgestanden, alt, aus. Sophia ging in die Hocke. Behutsam riskierte sie einen Blick. Mit einem Schrecken fiel sie hinterrücks auf den Steinboden.
»Was ist passiert?«, sagte Abaris. Er half Sophia aufzustehen.
»Da ist etwas im Wasser!«, sagte sie aufgelöst.
Vorsichtig nährte sich Abaris dem Kanal. »Ich kann nichts erkennen.«
Mutig schritt Maria an den Rand. Auch Byrger sah sich die Sache genauer an. »Was genau hast du gesehen?«, fragte Byrger.
Sophia antwortete nicht. Sträubend, ganz langsam, ging sie nochmals auf das Wasserbecken zu. Sie neigte ihren Kopf hinüber. Ein grässlich, entstelltes Wesen blickte sie an, schwenkte leicht kreisend den Kopf. Sophia hob ihre Hand. Die Abscheulichkeit tat es ihr gleich. Es imitierte ihr Spiegelbild oder war sogar ihr Spiegelbild. Sophia taumelte zurück.
»Seht ihr denn nicht... mein Spiegelbild?«
Die Familie blickte zerstreut zu Sophia.
Am Rand des Beckens gab es Bewegung. Die Wasseroberfläche wellte sich. Aus den Wogen erhob sich eine dürre Gestalt, mager, knochig. Sie zog sich mit ihren hageren Armen an Land. Aus jeder Pore ihres ausgemergelten Körpers quoll das grünliche Wasser heraus. Wie dicke Regenwürmer wand sich ihr schleimiges Haar. Mit giftigem Keuchen wackelte sie auf Sophia zu.
»Was hast du denn bloß, Sophia?«, sagte irgendeine Stimme.
Das Wassermonster schnappte sich Sophia und warf sie ohne Mühe in hohem Bogen hinein in das kleine Becken. Bevor Sophia sich orientieren konnte, hörte sie das Zischen von verdrängendem Wasser und sah die sprudelnden Bläschen eines weiteren Körpers, der in die Nässe eintauchte. Das magere Wasserwesen spielte mit seinem Element, boxte Sophia hin und her, verpasste ihr harte Schläge in die Seite, lies sie in Wasserstrudeln herumwirbeln und gegen die Wand schlagen. In einem letzten Versuch die rettende Wasseroberfläche zu erreichen ging Sophia der Atem aus. Der helle Schein des von Luft erfüllten Landes blendete ihre Augen. Sophia strampelte. Sie spürte, wie ihre Hand durch die Wasseroberfläche brach, die kalte Luft, die sie umschloss, als sie am Fuß gepackt und in die Tiefe zurück gerissen wurde. Der helle Schein verschwamm, wurde kleiner und dunkler, bis er völlig in umnebelnder Schwärze verschwand. Schwachen Mutes hob Sophia ihre trägen Lider. In einem schwammigen Dunst sah sie die Kreatur ihr die Idhermünze stehlen. Die geifernden Wurmhaare umschlangen Sophias Gesicht und verzahnten sich tief in ihr Fleisch.
Tief nach Luft ringend jagte Sophia auf. Alles an Sauerstoff, den die Umgebung hergab, zog sie gierig an sich.
Aufgeregt rief Maria mehrmals Sophias Namen und fiel ihr um den Hals. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Ja Kleines«, sie hustete, »Ich denke schon. Was ist den bloß passiert?« Sophia rappelte sich auf.
»Du bist ins Wasser gesprungen und wir haben dich wieder rausgeholt«, sagte Abaris.
»Ein Wassergeist«, wertete Byrger die Geschehnisse aus, »Sie dringen in deinen Verstand ein, lassen dich Dinge sehen, fühlen und tuen, die du dir in deinen tiefsten Ängsten nicht vorzustellen vermagst.«
»Die Münze!«, Sophia tastete nach dem runden Metallstück, »Dieses Ding hat sie mir abgenommen.«
Gerade als Sophia zur Ruhe zurück fand, geschah etwas Neues. Der Steinquader um sie herum begann sich aufzulösen. Wie die Blüten einer Blume entblätterte sich der Fels, die Decke brach auf und auch der Boden zerkrümelte zu
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