Mitternachtslust
Skandal interessierten, der sich da vor ihren Augen abspielte, als für ein langweiliges Glas Wein. Nur Natascha warf Melissa einen dankbaren Blick zu, griff nach einem der Gläser und trank es in einem Zug aus.
»Verraten Sie es uns! Wir sind alle schrecklich gespannt. Ist heute zu später Stunde noch eine ganz besondere Vorführung geplant?«, wandte sich der Gnom mit seiner unangenehm hohen Stimme wieder an Natascha, als wären Melissa und ihr Tablett überhaupt nicht vorhanden. »Soweit ich mich erinnere, hat mir Ihre Darbietung durchaus gefallen, wenn ich auch durch die Geschäftsfreunde, die ich an dem betreffenden Abend ausgeführt habe, ein wenig abgelenkt war. Erst kommt das Geschäft und dann das Vergnügen, nicht wahr? Aber heute sind die geschäftlichen Fragen zum Glück schon geklärt.« Er stieß ein meckerndes Lachen aus und legte eine Hand auf Nataschas Oberarm, wobei er wie zufällig ihren Busen streifte.
Melissa knallte das Tablett auf einen der Beistelltische, wobei sie auch noch die restliche Flüssigkeit verschüttete. Dann wandte sie sich dem Gnom zu.
»Entschuldigen Sie bitte! Gibt es irgendwelche Probleme, bei denen ich behilflich sein kann?« Sie hoffte inständig, dass das Zittern ihrer Stimme nicht so deutlich zu hören war, wie sie es in der Kehle und auf ihren Lippen spürte.
Der Gnom wandte sich ihr zu und sah sie mit funkelnden Äuglein an. »Ich habe soeben festgestellt, dass wir einen besonders illustren Gast unter uns haben, und frage mich, ob das etwas zu bedeuten hat. Oder wissen Sie vielleicht gar nichts davon?«
Melissa presste die Lippen aufeinander. Auf keinen Fall würde sie dem ekelhaften Kerl den Gefallen tun, ihn zu fragen, was er eigentlich meinte, zumal sie es ja ohnehin wusste. Am liebsten hätte sie ihn einfach aus dem Haus geworfen, aber das würde Richard ihr nie verzeihen. Bevor ihre hektisch kreisenden Gedanken ihr eine Idee geliefert hatten, wie sie sich in dieser Situation verhalten könnte, ohne noch mehr Gäste an den Ort des Geschehens zu locken und vor allem, ohne Richards Unwillen zu erregen, legte sich von hinten eine warme kräftige Hand auf ihre nackte Schulter und sie wurde sanft beiseitegeschoben. Melissa fuhr herum und atmete auf. Noch nie war sie so froh gewesen, Alexander zu sehen.
»Kann ich helfen?«, erkundigte er sich mit klarer Stimme und sah aus der luftigen Höhe seiner breitschultrigen Größe auf den feixenden Giftzwerg hinab. Er trug die schwarze Augenklappe jetzt mitten auf der Stirn, wo sie wie ein drittes, großes dunkles Auge wirkte. »Gibt es etwas an meiner Freundin auszusetzen? Dann können Sie das auch gern mit mir besprechen.«
»Nein. Es gibt nicht das Geringste an der jungen Dame auszusetzen. Es sei denn …« Der Gnom zögerte und wurde unter Alexanders dreiäugigem Blick sichtlich nervös.
»Es sei denn?«, fragte Alexander streng.
»Nichts. Ich dachte, ich würde sie kennen, aber wahrscheinlich habe ich mich geirrt. Wenn die Dame Ihre Begleiterin ist, habe ich mich ganz sicher geirrt.«
Verblüfft verfolgte Melissa die Szene. Natürlich hatte sie schon immer geahnt, dass Alexander auch für andere Männer eine durchaus respekteinflößende Persönlichkeit darstellte, aber sie hatte nicht gedacht, dass wenige Worte und ein strenger Blick von ihm reichen würden, um einen Wirtschaftsboss in die Knie zu zwingen. Innerhalb weniger Sekunden waren die Zuschauer in Richtung Halle verschwunden, und nun zog auch der Gnom sich hastig zurück.
»Wo warst du denn nur? Ich hatte dich doch gebeten, dich um Natascha zu kümmern!«, wandte Melissa sich in anklagendem Tonfall an Alexander, obwohl sie wusste, dass sie sich eigentlich hätte bedanken sollen.
Tatsächlich schien es Alexander leidzutun, dass Natascha während seiner Abwesenheit in eine derart unangenehme Lage geraten war. Er murmelte etwas von einem menschlichen Bedürfnis und nur ein paar Minuten und betrachtete dabei prüfend die rothaarige Frau, in deren Wangen schon wieder die Farbe zurückgekehrt war.
»Macht euch keine Sorgen!«, versuchte Natascha hastig, die Wogen zu glätten. »So eine Situation ist nicht neu für mich. Ich hatte Melissa ja auch gewarnt. Peinlich ist es mir nur gegenüber den Gastgebern. Ich hoffe, dein Mann erfährt nichts von dieser Sache, Melissa.«
Mit einer wegwerfenden Handbewegung machte Melissa klar, wie wenig Richards Meinung sie in diesem Moment interessierte. Damit würde sie sich auseinandersetzen, wenn die Zeit dafür gekommen
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