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Mitternachtslust

Mitternachtslust

Titel: Mitternachtslust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Winter
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sich mit dunkler Stimme vernehmen.
    Susanne öffnete den Mund, wahrscheinlich um sich zu erkundigen, wer Annabelle sei, doch Melissa kam ihr zuvor.
    »Bleibt so stehen!«, rief sie hastig. »Ich möchte eine Erinnerung an den heutigen Abend haben.«
    Ihr fiel ein, dass sie einen ihrer Fotoapparate, eine Kleinbildkamera, die sie schon als Jugendliche benutzt hatte, von der sie sich aber nicht trennen konnte, in der Schublade der kleinen Kirschholzkommode neben der Treppe aufbewahrte. Rasch holte sie den Fotoapparat, überprüfte, ob ein Film eingelegt war, und drückte dreimal hintereinander ab.
    Julius erstarrte unter den kurz aufeinanderfolgenden Blitzen, doch nachdem Melissa den Fotoapparat wieder hatte verschwinden lassen, entspannte er sich schnell. Ein sanftes Lächeln zog über sein Gesicht, als sein Blick Melissas suchte und festhielt.
    In diesem Moment öffnete sich Melissas Herz. Sie spürte seine Zuneigung, die sie umgab wie ein schützender Kokon. Sie konnte aber auch seine Verwirrung und seine Einsamkeit fast körperlich fühlen. Am liebsten hätte sie ihn fest in ihre Arme genommen und beschützt, wenn sie auch nicht genau wusste, vor was oder wem.
    Susanne riss sie aus ihrer merkwürdig schwebenden Stimmung. »Ich muss mich jetzt wirklich nach Jochen umsehen. Wahrscheinlich sitzt er schon draußen im Wagen«, verkündete sie im besorgten Ton einer Mutter, die ihr Kind aus den Augen verloren hatte. »Wir sehen uns morgen, Lieschen, wie abgemacht. Ich rufe dich gleich nach dem Frühstück an.«
    Melissa nickte wortlos und erwiderte die hastige Umarmung, mit der Susanne sich verabschiedete. Als sie wieder zur Treppe hinübersah, neben deren Geländer Julius eben noch gestanden hatte, war er verschwunden.
    Lächelnd schob sie sich zwischen den plaudernden Grüppchen hindurch. Diesmal war es kein eingefrorenes Lächeln, von dem ihr der Kiefer schmerzte, wie sonst so oft bei ähnlichen Gelegenheiten. Aus Gründen, die sie selbst nicht hätte benennen können, lächelte diesmal ihr Herz mit. Vielleicht weil sie sich nicht allein und fremd fühlte wie bei so vielen Festen zuvor, sondern behütet und geliebt. Als sie einmal meinte, Atem in ihrem Nacken und wenig später eine Berührung an ihrem Handrücken zu spüren, obwohl ihr keiner der Gäste nahe gekommen war, verstärkte sich das Funkeln ihrer Augen, und ihre Mundwinkel zogen sich noch weiter nach oben.
    Wenn jemand sie ansprach, um höflich das Fest, das Essen, die Musik oder das Feuerwerk zu loben, fand sie mühelos die unverbindlichen Antworten, die auf solche Bemerkungen erwartet wurden. Plötzlich schien alles ganz einfach zu sein.
    Sie sah sich nach Natascha um. Bevor der Abend zu Ende ging, wollte sie sich wenigstens noch ein paar Minuten mit ihr unterhalten. Hoffentlich war Alexander gleich nach seiner Rückkehr ins Haus wieder an Nataschas Seite zurückgekehrt. Obwohl sie bei der Einladung noch gedacht hatte, Natascha würde mit ihren Befürchtungen übertreiben, erschien es Melissa plötzlich nicht mehr so unwahrscheinlich, dass einer der Männer sie nicht nur erkennen, sondern auch bloßstellen könnte.
    Da sie in der großen Einganghalle weder Natascha noch Alexander erspähte, schlenderte Melissa ins Frühstückszimmer hinüber, wo noch genügend Köstlichkeiten auf dem Büfett standen, um eine weitere große Festgesellschaft zu sättigen.
    Als Melissa den Raum betrat, sah sie sofort die kleine Menschentraube, die sich in der Ecke neben der Tür gebildet hatte. Im Mittelpunkt des Interesses standen Natascha und der gnomenhafte Wirtschaftsboss, dessen Namen Melissa schon wieder vergessen hatte. Als sie näher kam, sah sie, dass Natascha fast so bleich war wie das helle Ballkleid, das sie trug. Selbst ihre Lippen, die mit einem transparenten Lipgloss nur sehr dezent geschminkt waren, schienen nahezu weiß.
    Melissa hielt erschrocken die Luft an. Wo um alles in der Welt steckte Alexander? Hatte sie ihn nicht ausdrücklich gebeten … Aber natürlich war er wie alle anderen Männer auch: Wenn man ihn brauchte, war er verschwunden.
    Entschlossen riss Melissa einem vorbeikommenden Kellner in Konföderiertenuniform das Tablett mit gefüllten Wein- und Sektgläsern aus den Händen und eilte auf die Gruppe zu.
    »Sie haben ja alle gar nichts mehr zu trinken!«, flötete sie und schwenkte das Tablett so heftig vor den Gästen herum, dass der Inhalt der Gläser überschwappte. Das störte aber niemanden, weil sich ohnehin alle mehr für den kleinen

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