Mitternachtslust
blinzelte, ging noch ein paar Schritte vorwärts und erkannte sich deutlicher, sah sich nackt, mit heller cremiger Haut, rotbraunem Gekräusel unter dem Bauch und hellroten Brustwarzen. Ihr Gesicht wirkte zwar nicht lasterhaft, aber auch nicht wirklich unschuldig. Es war das Gesicht einer Frau, die bald ihren dreißigsten Geburtstag feiern würde.
Sie blieb dicht vor dem Spiegel stehen, legte die Hände unter die Rundungen ihrer vollen Brüste und schob sie leicht nach oben.
Bisher hatte sie sich nie besonders viele Gedanken über ihr Aussehen gemacht. Sie hatte es für durchschnittlich gehalten. Als sie sich nun aber aufmerksam in dem hohen Spiegel betrachtete, fand sie sich zum ersten Mal wirklich schön. Die langen geschwungenen Linien ihres Körpers gefielen ihr ebenso wie der runde, weit vorgewölbte Busen und der Schimmer in ihren Augen und auf ihren Lippen.
Nur zufällig glitt ihr Blick nach oben, wo sie im Spiegel den schwach beleuchteten Flur hinter ihrem Rücken sehen konnte. Zunächst nahm sie nur eine leichte Bewegung wahr, als hätte ein Luftzug einen Vorhang gebläht, dann zeichneten sich vor der hellen Wand die Umrisse einer hohen schlanken Gestalt ab, die sich langsam auf sie zubewegte.
Völlig außerstande, sich zu rühren, stieß Melissa einen gurgelnden Laut aus, während sie mit vor Anstrengung brennenden Augen in den Spiegel starrte. Verzweifelt versuchte sie, daran zu glauben, dass es nur Richard sein konnte, der da auf sie zukam. Aber natürlich war Richard nicht so groß, nicht so breitschultrig – und nicht so schweigsam.
Sie fuhr herum und lehnte ihren nackten Rücken gegen den kühlen Spiegel, während sie mit Armen und Händen versuchte, so gut es ging, ihren nackten Körper zu bedecken.
»Ich habe Sie doch nicht etwa erschreckt?«, erkundigte sich eine tiefe, etwas raue Männerstimme besorgt.
Sie wusste sofort, dass die Besorgnis nicht echt war. Ein Mann wie Alexander Burg machte sich keine Gedanken um das Seelenleben von Frauen. Wahrscheinlich lachte er sich heimlich ins Fäustchen, weil er sie in Angst und Schrecken versetzt und noch dazu splitternackt überrascht hatte.
»Was fällt Ihnen ein, einfach hier hereinzukommen!« Dieses Mal musste sie sich nicht bemühen, energisch zu klingen. Die Wut brachte ihren ganzen Körper zum Vibrieren.
»Die Klingel funktioniert nicht«, erklärte er ihr gelassen. »Also habe ich geklopft. Als sich immer noch nichts tat, fing ich an, mir Sorgen zu machen, weil ich wusste, dass Sie im Haus sind. Ich dachte, die Situation würde es rechtfertigen, dass ich ausnahmsweise meinen Schlüssel benutze.«
»Sie sind einfach so hereinmarschiert, weil ich nicht geöffnet habe? Möglicherweise wollte ich Ihnen einfach nicht aufmachen.« Sie bemerkte seine Blicke, die immer wieder von ihrem Gesicht abglitten und die tiefer liegenden Regionen ihres Körpers streiften. Rasch überkreuzte Melissa ihre Schenkel noch enger, schob eine Hand über das Dreieck ihrer Schamhaare, schlang den anderen Arm noch fester um ihren Oberkörper und starrte ihn drohend an.
»Dieser Gedanke ist mir gar nicht gekommen.« Mit gut gespielter Verlegenheit zuckte er mit den Achseln. »Ich wollte Ihnen meine Hilfe beim Möbelrücken anbieten.«
»Die Absicht ehrt Sie, ist aber keine wirkliche Entschuldigung dafür, hier herumzuschleichen.« Melissa attackierte ihn mit Blicken wie mit Gewehrsalven.
Wieder fiel ihm nichts Besseres als ein Achselzucken ein. »Ich wollte Sie nicht beim Baden stören.«
Keuchend schnappte sie nach Luft. »Woher wissen Sie, dass ich …? Haben Sie mich in der Badewanne beobachtet?« Ihre Stimme vollführte einen hektischen Salto. Der Gedanke, dass Alexander Burg durch den Türspalt zugeschaut haben könnte, wie sie sich mit dem Waschlappen und den Händen am ganzen Körper berührt und gewaschen hatte, ließ sie erschrocken den Atem anhalten, während eine seltsame Hitze über ihre Brüste kroch.
»Ich habe mich natürlich sofort diskret zurückgezogen«, versicherte ihr ungebetener Gast nicht sehr glaubwürdig.
»Sie sind ungefähr so diskret wie eine Feuersirene um Mitternacht«, zischte Melissa ihn an. »Jetzt gucken Sie gefälligst woanders hin, und geben mir Ihr Hemd!«
Sie konnte unmöglich vor seinen Augen splitternackt die Treppe hinuntergehen und unten nach etwas zum Anziehen suchen! Natürlich hätte sie ihn einfach hinauswerfen können, aber da er so großspurig verkündet hatte, er sei gekommen, um ihr zu helfen, würde sie ihm
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