Mitternachtslust
klarzumachen. Genau wie bei der Kunst ist es auch beim Humor. Was der eine schrecklich komisch findet, ist für den anderen – in diesem Fall würde ich sagen, für die meisten anderen – einfach nur lästig und … blöd.«
Alexander Burg neigte seinen Kopf seitlich und sah sie interessiert an, sagte aber nichts.
»Geben Sie mir die Schlüssel!«, fuhr sie energisch fort. »Wie gesagt: Ich finde es nicht lustig, wenn Sie durchs Haus schleichen, Türen öffnen, die ich geschlossen habe, dafür die schließen, die ich gewöhnlich offen lasse, und dann womöglich noch die eine oder andere Kerze anzünden oder ausblasen.« Ohne auch nur zu blinzeln, erwiderte Melissa seinen steten dunkelgrünen Blick.
»Der Schlüssel!«, wiederholte sie schließlich und streckte ihre Hand aus, weil ihr klarwurde, dass er nicht vorhatte, etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen.
»Sie meinen den Schlüssel zum Haupthaus?«, ließ er sich endlich herab, zu fragen.
»Welchen denn sonst?« Ungeduldig wackelte Melissa mit den Fingern ihrer ausgestreckten Rechten.
»Den können Sie gern haben. Allerdings muss ich erst nachschauen … Es ist eine Weile her, seit ich ihn zuletzt in der Hand hatte. Er müsste in der Kommode …«
Vor sich hinmurmelnd, ging er an ihr vorbei in den kleinen Flur hinaus. Dabei streifte sein nackter Arm ihre immer noch vorgestreckte Hand. Etwas wie ein leichter elektrischer Schlag zuckte durch ihren Körper. Wieder eine Sache, die sie ihm übelnahm. Er konnte nicht einfach durch die Gegend stolzieren und Elektroschocks verteilen.
Während sie ihn durch die offenstehende Tür einige Schubladen herausziehen und darin kramen hörte, wanderte sie durch den großen hellen Raum und betrachtete die Bilder, die ringsum an den Wänden aufgestellt waren.
Auf den meisten erkannte sie den leicht verwischten Farbauftrag des Gemäldes wieder, das halbfertig auf der Staffelei stand. Er hatte sich an den unterschiedlichsten Motiven versucht. Es gab mehrere Bilder von leuchtenden subtropisch anmutenden Blüten. Eines der kleineren Gemälde zeigte eine weite Landschaft mit Hügeln, Wäldern und einem Fluss.
Und – wie hätte es anders sein können – eine ganze Serie war Frauen in verschiedenen Stadien der Nacktheit gewidmet. Nie waren die Modelle völlig unbekleidet, immer war irgendeine Art von Tuch oder auch ein fast durchsichtiger Schleier über die Leiber drapiert, obwohl auf diese Weise die Reize der schönen Körper eher unterstrichen als verhüllt wurden.
»Gefallen Ihnen die Akte?«
Wie ertappt zuckte sie zusammen, fuhr herum und stellte fest, dass Alexander Burg direkt hinter ihr stand. Sie hatte nicht gehört, dass er wieder ins Atelier gekommen war. »Sie sind wahrscheinlich ganz nett, wenn man so etwas mag«, stieß sie nervös hervor. »Allerdings frage ich mich, wieso Frauen sich für so etwas hergeben. Haben Sie zur Belohnung mit allen geschlafen, oder wie funktioniert das?«
Leise lachend schüttelte er den Kopf. »Es ist am problemlosesten, mit professionellen Modellen zu arbeiten. Diese Frauen tun es ausschließlich wegen des Geldes, und weil es ihnen nichts ausmacht, nackt zu sein.« Nach einer bedeutungsvollen Pause fuhr er fort: »Andererseits hat es seinen ganz eigenen Reiz, eine besondere Beziehung zu dem Modell zu haben.«
Er beugte sich zu einem der Bilder hinunter, auf dem eine Frau mit wundervollem weizenfarbenen Haar und riesigen blauen Augen zu sehen war. Das Tuch, das so um ihren grazilen Oberkörper geschlungen war, dass eine der kleinen kecken Brüste mit der rosigen Spitze hervorblitzte, nahm die Farbe ihrer Augen auf. Auf ihrem Gesicht lag ein verträumtes Lächeln.
Mit der Spitze seines Zeigefingers zeichnete Alexander die Linie der vollen Lippen nach. Es versetzte Melissa einen merkwürdigen Stich, als sie ihm zusah, wie er fast zärtlich die Leinwand berührte.
»Im Grunde halte ich es für höchst unprofessionell, mit einem Modell zu schlafen. Andererseits ist es ein ganz besonderes Erlebnis, eine Geliebte zu malen.«
»Wie schön für Sie, dass Sie nicht professionell sind!« Melissa wandte den Blick ab, weil sie nicht länger zusehen mochte, wie er das Gemälde anhimmelte.
»Warum gibt es nur ein einziges Bild von ihr? Die anderen haben Sie fast alle mehrmals gemalt.« Die Frage war ihr einfach so herausgerutscht. Sie hatte nicht vorgehabt, Interesse an seiner Arbeit zu zeigen.
Alexander wandte den Kopf ab und sah in den Park hinaus. »Ich bin nicht dazu gekommen, sie
Weitere Kostenlose Bücher