Mitternachtslust
zu.
Sehr zu ihrer Verärgerung griff Melissa ungeschickt daneben und musste den Ring mit den beiden Schlüsseln vom Boden aufheben.
»Damit wird ja wohl der Spuk im Haus aufhören«, stellte sie fest und ließ den altmodischen Metallring lässig um ihren Finger kreisen, wobei er ihr fast ein zweites Mal heruntergefallen wäre.
»Welcher Spuk?«, erkundigte sich Alexander interessiert.
»Wie ich schon sagte: Der eine findet solche Dinge wie Türen, die sich auf geheimnisvolle Weise öffnen, und Kerzen, die plötzlich brennen, lustig, dem anderen gehen sie auf die Nerven.«
Natürlich tat Alexander so, als würde er überhaupt nicht verstehen, wovon sie eigentlich redete. Er runzelte die Stirn und sah sie fragend an.
»Du meinst, ich benutze die Schlüssel, um in eurem Haus herumzuschleichen und sinnloses Zeug zu tun?«, fragte er nach einer kurzen Denkpause, wobei ihm der ungläubige Ton gut gelang.
»Wer sollte es sonst sein?«
Er starrte sie verblüfft an – eine Minute lang, vielleicht auch zwei. Dann legte er den Kopf in den Nacken und begann, laut und herzhaft zu lachen.
»Du glaubst tatsächlich, ich hätte nichts Besseres zu tun, als mich als Poltergeist zu betätigen?«, wollte er wissen, nachdem er sich mühsam wieder beruhigt hatte.
Melissa zuckte mit den Achseln und bemühte sich, die Fassung zu bewahren, obwohl sie ihn am liebsten mitten in sein grinsendes Gesicht geschlagen hätte. »Es kann niemand anders gewesen sein, ganz gleich, wie laut du jetzt lachst.«
»Du glaubst das nicht wirklich! Seit deinem Einzug bin ich ein einziges Mal drüben im Haus gewesen. Das war an deinem allerersten Tag hier. Erinnerst du dich?«
Dumme Frage! Melissa wandte den Kopf ab. Sie hatte nackt vor dem Spiegel gestanden und ihn für eine übersinnliche Erscheinung gehalten, als er aus der Dunkelheit aufgetaucht war.
»So, du schleichst also nicht in der Gegend herum und beobachtest mich?« Sie holte tief Luft, um zum entscheidenden Schlag auszuholen. »Und wieso sehe ich dich dann auf einem der Fotos, die ich im Park gemacht habe? Du hockst hinter einem Busch!«
Sein Grinsen nahm womöglich noch spöttischere Züge an. »Ich gebe ja zu, dass ich wahrscheinlich nicht besonders würdevoll aussehe, wenn ich im Gebüsch herumkrieche. Aber es schien mir immer noch erstrebenswerter, als dir direkt ins Bild zu laufen. Immerhin kenne ich dich inzwischen ein bisschen. Dass ich dann trotzdem irgendwie auf das Foto geraten bin, ist natürlich Künstlerpech.« Er zuckte gelassen mit den Achseln.
»Künstler – dass ich nicht lache!« Melissa gab sich die größte Mühe, all ihre Verachtung in die wenigen Worte zu legen.
Dann drehte sie sich um, raste zur Tür, riss sie auf und rannte aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
8. Kapitel
Melissa tauchte schlagartig aus einem unruhigen Schlaf voller wirrer Träume auf. In dem Augenblick, in dem sie die Augen aufschlug, spürte sie einen sanften kühlen Luftzug auf Wangen und Stirn.
Sie hob den Kopf und schaute sich aufmerksam um. Im hellen Licht der Morgensonne konnte sie jede Ecke ihres Schlafzimmers überblicken. Sie war allein. Es wurde Zeit, dass sie sich abgewöhnte, hinter jeder Luftbewegung einen Eindringling zu vermuten!
Nachdem sie festgestellt hatte, dass es bereits nach acht Uhr war, schlug sie rasch die Decke zurück und eilte unter die Dusche. Eigentlich hatte sie viel früher aufstehen wollen, denn für den heutigen Tag hatte sie sich vorgenommen, erste Eindrücke ihrer neuen Heimatstadt mit der Kamera festzuhalten.
Zum Frühstück begnügte sie sich mit Fertigmüsli. Während sie am Küchentisch sitzend hastig die Flocken löffelte, ignorierte sie die kühle Luft, die sie auch hier umwehte. Dies war ein altes Haus, und in alten Häusern zog es nun einmal. Das stellte keinen Grund zur Besorgnis dar.
Ein wenig beunruhigender war dagegen, dass sie in verschiedenen Ecken des Zimmers, einmal neben dem Kühlschrank, dann vor der geschlossenen Tür und schließlich in der kleinen Nische seitlich vom Fenster, merkwürdig flimmernde, etwa mannshohe Flächen sah, die sich in Sekundenschnelle vor ihren Augen auflösten, um kurz darauf woanders wieder aufzutauchen. Sie blinzelte angestrengt, als es ihr gegenüber am Tisch zu flackern anfing. Offensichtlich war mit ihren Augen etwas nicht in Ordnung. Womöglich brauchte sie eine Brille. Oder sie hatte sich durch die Zugluft eine Bindehautentzündung geholt. In den nächsten Tagen würde sie sich einen
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