Mitternachtsmorde
Sie sollte deine Story stützen, dass ich die Stadt verlassen hätte. Hugh wusste, dass das nicht stimmen konnte, aber bis zu unserem zufälligen Zusammentreffen mit Mrs Lacey wusste er nicht, wo er nach mir suchen sollte; offenbar hat sie ihm von mir erzählt, und er hat daraufhin zwei und zwei zusammengezählt.«
»Sie weiß ganz bestimmt nicht, worum es in Wahrheit geht«, sagte Knox. »Sie ist nicht …« Dann verstummte er und starrte kurz in die Ferne. »Scheiße«, meinte er nach einer Weile leise. »Es gibt nur eines, was sie in diese Sache reinziehen könnte. Dieser Hurensohn hat ihr vermutlich erzählt, sie könnte in die Vergangenheit zurückreisen und Rebecca retten. Sie hat sonst niemanden mehr. Sie würde alles tun, um ihre Tochter zurückzubekommen.«
Nikita schloss kurz die Augen, weil sich ihr abgrundtiefer Zorn auf Mrs Lacey auf einmal in ein herzzerreißendes Mitleid verwandelte, das sie kaum ertrug. Sie wusste, wie ihre eigene Mutter gelitten hatte, als ihr Kind gestorben war, und dabei hatte sie noch einen liebenden Ehemann und drei andere Kinder gehabt, die ihr Trost spenden konnten. Mrs Lacey hingegen war ganz allein. Dieser gottverdammte Hugh Byron; dieser Drecksack nutzte kaltschnäuzig die Trauer und Verzweiflung einer Mutter aus.
»Sie war diejenige, die auf mich geschossen hat«, erkannte Nikita. »Weißt du, ob sie mit Waffen umgehen kann?«
»Keine Ahnung. Viele Frauen können schießen, vor allem, wenn sie auf dem Land groß geworden sind.« Mit grimmiger Miene blickte er auf die Metallkiste. »Ich würde sagen, wir finden raus, was, zum Teufel, da drin steckt und so wertvoll ist, dass dieser Bastard drei Menschen umgebracht hat.«
Er hob die Kassette hoch und trug sie aus dem windschiefen Anbau. Nikita zögerte, packte dann eine Ecke der Plane und schleifte sie mit der Ladung Bücher ebenfalls ins Freie. Knox hatte sich bereits an einem sonnigen Fleck inmitten der Schlingpflanzen und Dornenranken niedergelassen und machte sich am Deckel der Kassette zu schaffen. Sie hatte kein Schloss, aber nachdem sie jahrelang nicht geöffnet worden war, war der nach Maß eingepasste Deckel festgerostet. Schließlich rammte er die Beilklinge unter die Deckelkante und bog sie nach oben; der Deckel flog auf, und der Inhalt lag offen vor ihnen.
Vorsichtig begann er einen Gegenstand nach dem anderen herauszunehmen und reichte ihn jeweils an Nikita weiter, die alles auf der Plane auslegte. Es waren:
ein Jahrbuch
eine Zeitung eine Hörkassette
ein Kassettenrecorder
das städtische Handelsregister
ein Abriss der Geschichte von County und Stadt
ausgewählte Fotografien
ein handgeschriebener Brief des Bürgermeisters Harlan Forbes
das Telefonbuch vom Peke County aus dem Jahr 1985
eine Liste aller Bürger vom Peke County, die im Krieg gefallen waren
eine korrekt zusammengefaltete amerikanische Flagge, die am Gerichtsgebäude vom Peke County geweht hatte
ein Versandhauskatalog.
Knox starrte mit offenem Mund auf den Katalog, presste dann die Faust auf den Mund und kippte lachend rückwärts ins Unkraut. »Ist das zu glauben?«, johlte er. »Ein Versandhauskatalog! Wer, zum Teufel, hat den in die Zeitkapsel gesteckt? Entweder waren die Typen besoffen, als sie sich das ausgedacht haben, oder sie hatten einen echt schrägen Sinn für Humor.«
Nikita hatte den schweren Katalog angehoben und blätterte nachdenklich darin herum. »Also, ich weiß nicht. Ich glaube, der bietet ein ziemlich gutes Bild davon, wie das Leben im Jahr 1985 war. Sieh mal, es gibt hier drin Bilder, Beschreibungen und Preisangaben. Das könnte als Sammlerstück und als Nachschlagewerk sehr wertvoll werden.«
»Na schön, aber solange darin keine Zeitreiseformel aufgeführt ist, war das ein voller Griff ins Klo. Ich weiß, dass dreizehn Sachen in die Kiste getan wurden, wo ist also der dreizehnte Gegenstand? Hat Coach Easley vielleicht was rausgenommen?«
»Aber hätte er dann nicht einfach diesen Gegenstand herausgenommen und die Zeitkapsel wieder eingegraben?«, fragte Nikita mit unbestechlicher Logik. »Wenn er nur ein Ding wollte, hätte er doch nicht die ganze Kassette mitnehmen müssen.«
»Der Mann beging kurz darauf Selbstmord; er war nicht unbedingt zurechnungsfähig.«
Sie nahm den schweren Katalog in die Hand und fächerte die Blätter auf. Zu ihrer unbeschreiblichen Überraschung flatterte, obwohl sie nicht wirklich damit gerechnet hatte, ein weißes Blatt Papier daraus auf die Plane.
Knox streckte die
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