Mitternachtsmorde
Hand danach aus, nahm es an sich und las es durch.
»Was steht darauf?«
»Ich schätze mal, das ist sein Abschiedsbrief. › Scheiß doch drauf. Ich hab den ganzen blöden Scheiß so satt. ‹ Zitat Ende. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wieso er das Blatt in einen Versandkatalog steckte, den Versandkatalog in die Zeitkapsel legte und die Kapsel danach in einem Bücherstapel versteckte. Ich würde sagen, er ist schlicht und ergreifend durchgedreht.«
»Eine Art psychischer Zusammenbruch. So etwas kommt vor; die chemischen Abläufe im Gehirn geraten durcheinander, ohne dass wir wüssten, warum.«
»Schau mal nach, ob noch was zwischen den Seiten liegt. Vielleicht haben wir ja Glück.«
Sie schüttelte den Katalog ein zweites Mal, doch diesmal fiel nichts heraus. Enttäuscht ließ sie sich auf der Plane nieder und schaute alles durch, was er aus der Kassette geholt hatte. Vielleicht die Zeitung – sie blätterte sie mit spitzen Fingern durch, da das Papier schon leicht brüchig war, aber zwischen den einzelnen Seiten lag nichts. Das Handelsregister war genau das, nämlich ein Register von Firmen; es gab weder einen Anhang noch eine heimliche Beilage.
Knox schaute ebenso ergebnislos das Jahrbuch durch. Sie drehten alle Fotos um, aber auf der Rückseite standen nur Namen, Daten und Ortsangaben. Der Brief des Bürgermeisters umfasste nur eine Seite. Der geschichtliche Abriss war nichts als ein geschichtlicher Abriss. Frustriert, aber bemüht, sie nicht zu beschädigen, durchsuchte Knox zuletzt die Flagge.
»Scheiße, jetzt können wir nur noch darauf hoffen, dass auf der Kassette noch was anderes ist als nur Musik«, sagte er, griff danach und sah sie an. »Nicht dass wir sie anhören können, weil die Batterien längst kaputt sind – falls sie überhaupt Batterien dazugelegt hatten, obwohl das mit Sicherheit rausgeworfenes Geld war.« Er legte die Kassette beiseite, griff nach dem kleinen Abspielgerät und wollte es gerade herumdrehen, als er innehielt und leise feststellte: »Da ist schon eine Kassette eingelegt.«
Sie fuhren zum nächsten Lebensmittelladen und kauften einen Satz Batterien, die Knox sofort in die Unterseite des Recorders einlegte. Im Auto sitzend, drückte er auf PLAY … und der größte Hit des Jahres 1984, Michael Jacksons »Thriller«, schallte durch das Auto. Mit schmerzverzogener Miene stoppte er das Band und ließ die Kassette auswerfen. »Ich konnte das Lied nie ausstehen«, grummelte er. »Mein liebstes Stück von Michael Jackson war ›Ben‹. Da geht es um eine Ratte.«
»Wie gruselig«, bemerkte sie.
»Du solltest mal das Video zu ›Thriller‹ sehen; das ist wirklich gruselig.«
Er legte die zweite Kassette ein und drückte erneut auf PLAY.
Es folgte etwas statisches Rauschen, und dann begann eine ruhige Stimme zu sprechen. »Dies sind Forschungen, die ich während meiner Zeit am Cal Tech angestellt habe. Als ich merkte, wohin meine Berechnungen führten, habe ich meine Arbeiten eingestellt und gekündigt. Ich halte es für möglich, dass Menschen durch die Zeit reisen können. Aber ich bin überzeugt, dass wir noch nicht reif dafür sind. In der Zukunft wird die Erde ein besserer Platz sein als heute, das ist meine tiefe Überzeugung; darum will ich die Ergebnisse meiner Berechnungen der Nachwelt anvertrauen. Ihr werdet wissen, was zu tun ist.« Anschließend begann die Stimme über Gravitationsmodifikationen zu sprechen, bevor sie sich über mathematische Theorien und Formeln ausließ, die ihnen völlig unverständlich blieben, aber mit ziemlicher Sicherheit genau das waren, wonach sie gesucht hatten. Das Band endete mit den Worten: »Möge die Nachwelt dieses Wissen klug nutzen.«
Knox spulte das Band zurück und nahm es aus dem Recorder. »Tja, das ist der dreizehnte Gegenstand und genau das, wonach Hugh sucht. So wie es aussieht, hat Coach Easley seine Berechnungen damals auf eine Kassette gesprochen, damit er sie unauffällig in die Zeitkapsel legen kann. Ich weiß noch, dass die erste Kassette vor aller Augen in den Recorder eingelegt wurde. Danach muss er seine eigene Kassette hinzugelegt haben. Wahrscheinlich haben damals alle geglaubt, es gäbe so viele zeitlose Hits aus dem Jahr 1985, dass man dafür zwei Kassetten braucht. Weit gefehlt, kann ich da nur sagen.«
Nikita lächelte melancholisch. »Offenbar hat Easley wenig später Skrupel bekommen, dass er Unheil über die Menschheit bringen könnte, wenn er den Menschen die Tür zu den Zeitreisen
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