Mitternachtspalast
Seth halfen ihm, Carter vom Fußboden hochzuheben, während die übrigen den Schutt beiseiteräumten und im Korridor einen Platz frei machten, wo sie den Direktor von St. Patrick’s hinlegen konnten.
»Was zum Teufel ist passiert?«, fragte Ben.
Bankim schüttelte stumm den Kopf. Er war nicht in der Lage, die Frage zu beantworten, und stand noch sichtlich unter Schock. Mit vereinten Kräften schleppten sie den Verletzten in den Korridor, während Vendela mit kreidebleichem Gesicht und gehetztem Blick davonlief, um im nächstgelegenen Krankenhaus Hilfe zu holen.
Nach und nach trafen auch die restlichen Bewohner von St. Patrick’s ein, ohne zu begreifen, woher dieser Knall gekommen war und wem der versengte Körper gehörte, der dort auf dem Boden lag. Ian und Roshan riegelten den Flur ab und forderten alle auf, wieder zu gehen und nicht den Zugang zu behindern.
Das Warten auf die versprochene Hilfe wurde endlos.
Nach dem ersten Schock und dem ersehnten Eintreffen des Krankenwagens aus dem Städtischen Krankenhaus von Kalkutta verfiel St. Patrick’s für eine halbe Stunde in ängstliche Ungewissheit. Als sich schließlich nach der ersten Panik Mutlosigkeit unter den Anwesenden breitmachte, kam ein Arzt zu Bankim und den Jungs, um sie zu beruhigen, während sich drei seiner Kollegen weiter um das Opfer kümmerten.
Als sie ihn kommen sahen, scharten sich alle ängstlich und erwartungsvoll um ihn.
»Er hat schwere Verbrennungen und, so wie es aussieht, mehrere Brüche, aber er ist außer Lebensgefahr. Was mir größere Sorgen macht, sind seine Augen. Wir können nicht garantieren, dass er das Augenlicht vollständig wiedererlangt, aber es ist noch zu früh, um etwas Endgültiges zu sagen. Wir müssen ihn mitnehmen und in Narkose versetzen, bevor wir mit der Behandlung beginnen. Es wird mit Sicherheit eine Operation nötig sein. Ich brauche jemanden, der die Einlieferungsformulare unterschreiben kann«, sagte der Arzt, ein rothaariger junger Mann mit ernstem Blick, der einen entschlossenen, kompetenten Eindruck machte.
»Vendela kann das übernehmen«, sagte Bankim.
Der Arzt nickte.
»Gut. Da ist noch etwas«, setzte er hinzu. »Wer von euch ist Ben?«
Alle sahen ihn fassungslos an. Ben sah überrascht auf.
»Ich bin Ben«, antwortete er. »Warum?«
»Er will mit dir sprechen«, sagte der Arzt in einem Ton, der deutlich machte, dass er versucht hatte, Carter davon abzubringen, und seinen Wunsch nicht guthieß.
Ben nickte und stieg rasch in den Krankenwagen, in den die Ärzte Carter gebracht hatten.
»Nur eine Minute, mein Junge«, sagte der Arzt. »Keine Sekunde länger.«
Ben trat zu der Trage, auf der Thomas Carter lag, und versuchte beruhigend zu lächeln, aber als er sah, in welchem Zustand sich der Direktor des Waisenhauses befand, wurde ihm schlecht, und er brachte kein Wort über die Lippen. Einer der Ärzte gab ihm ein Zeichen zu sprechen. Ben holte tief Luft und nickte.
»Hallo, Mr Carter. Ich bin’s, Ben«, sagte er, während er sich fragte, ob Carter ihn hören konnte.
Der Verletzte drehte langsam den Kopf zur Seite und hob eine zittrige Hand. Ben ergriff sie und drückte sie sanft.
»Sag diesem Mann, er soll uns allein lassen«, stöhnte Carter mit geschlossenen Augen.
Der Arzt sah Ben streng an und zögerte einige Sekunden, bevor er hinausging.
»Die Ärzte sagen, dass Sie wieder gesund werden«, sagte Ben.
Carter schüttelte den Kopf.
»Nicht jetzt.« Jedes Wort schien eine gewaltige Anstrengung für ihn zu sein. »Du musst gut zuhören und darfst mich nicht unterbrechen. Hast du verstanden?«
Ben nickte stumm. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass Carter ihn nicht sehen konnte.
»Ich höre, Mr Carter.«
Carter drückte seine Hand.
»Es gibt einen Mann, der nach dir sucht und dich töten will, Ben. Ein Mörder«, brachte Carter mühsam hervor. »Du musst mir unbedingt glauben. Dieser Mann nennt sich Jawahal und scheint zu glauben, dass du etwas mit seiner Vergangenheit zu tun hast. Ich weiß nicht, warum er dich sucht, aber ich weiß, dass er gefährlich ist. Was er mit mir gemacht hat, ist der Beweis dafür, wozu er fähig ist. Du musst mit Aryami Bosé sprechen, der Frau, die gestern im Waisenhaus war. Sag ihr, was ich dir gesagt habe und was passiert ist. Sie wollte mich warnen, aber ich habe ihre Worte nicht ernst genommen. Mach nicht den gleichen Fehler. Geh zu ihr und sprich mit ihr. Sag ihr, dass Jawahal hier war. Sie wird dir erklären, was du machen
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