Mitternachtspalast
als wir zu dem Haus zurückgingen, in dem wir untergekommen sind, nahm mir meine Großmutter das Versprechen ab, nie wieder mit dir zu reden. Sie sagte, ich solle dich vergessen, und jeder Versuch, mich dir zu nähern, könne in einer Tragödie enden.«
Ben seufzte angesichts des immer reißender werdenden Stroms verschleierter Bedrohungen, die alle mit seiner Person zu tun hatten. Jeder außer ihm schien irgendein unaussprechliches Geheimnis zu kennen, das ihn zum Unglücksbringer abstempelte. Seine anfängliche Ungläubigkeit und spätere Beunruhigung schlugen angesichts der ganzen Geheimniskrämerei hinter seinem Rücken allmählich in Ärger und Wut um.
»Was habe ich ihr für einen Anlass gegeben, so etwas zu sagen?«, fragte er. »Sie hat mich gestern Abend zum ersten Mal gesehen, und ich glaube nicht, dass mein Benehmen diesen Schwachsinn rechtfertigt.«
»Ich glaube nicht, dass es damit zu tun hat«, sagte Sheere. »Sie hatte Angst. In ihren Worten lag keine Wut, nur Angst.«
»Tja, wir werden noch auf was anderes als Angst stoßen müssen, wenn wir herausfinden wollen, was hier vor sich geht«, entgegnete Ben. »Lass uns jetzt zu ihr gehen.«
Der Junge begab sich zu den wartenden Mitgliedern der Chowbar Society. Ihre Gesichter verrieten, dass sie untereinander über das Thema diskutiert hatten und zu einem Ergebnis gekommen waren. Ben hätte darauf wetten können, wer ihren unvermeidlichen Protest vorbringen würde. Alle Blicke ruhten auf Ian, und als der die Verschwörung bemerkte, verdrehte er stöhnend die Augen.
»Ian hat dir was zu sagen«, erklärte Isobel. »Und er spricht für uns alle.«
Ben sah seine Freunde an und grinste.
»Ich bin ganz Ohr.«
»Also«, begann Ian, »es geht im Wesentlichen darum, dass wir dir sagen möchten …«
»Komm zur Sache, Ian«, funkte Seth dazwischen.
Ian fuhr mit aller aufgestauten Wut herum, zu der er in seiner bedächtigen Art fähig war.
»Wenn ich es erkläre, dann so, wie ich will. Klar?«
Niemand wagte noch etwas gegen seine umständlichen Ausführungen einzuwenden. Ian widmete sich wieder seinem Auftrag.
»Wie gesagt, das Wesentliche ist, dass wir glauben, dass da etwas nicht zusammenpasst. Du hast uns gesagt, Mr Carter hätte dir erzählt, ein Verbrecher streiche um das Waisenhaus herum und habe ihn angegriffen. Ein Verbrecher, den niemand gesehen hat und dessen Motive wir nach deinen Erklärungen nicht verstehen. So wie wir nicht verstehen, warum Mr Carter ausgerechnet mit dir sprechen wollte oder warum du dich mit Bankim unterhalten hast, ohne uns zu sagen, worüber. Wir nehmen an, dass du Gründe dafür hast – oder das zumindest glaubst –, ein Geheimnis daraus zu machen, das du nur mit Sheere teilst. Aber ehrlich gesagt, wenn dir unsere Gesellschaft und ihre Satzung etwas wert sind, dann solltest du uns vertrauen und uns nichts verheimlichen.«
Ben dachte über Ians Worte nach und ließ seinen Blick über die Gesichter der Übrigen schweifen, die zu den Ausführungen ihres Sprechers nickten.
»Wenn ich etwas verschwiegen habe, dann deshalb, weil ich denke, dass ich das Leben anderer in Gefahr bringen könnte«, erklärte Ben.
»Das Grundprinzip unserer Gesellschaft lautet, uns gegenseitig zu helfen bis zum Ende, und nicht einfach nur Geistergeschichten zu erzählen und sich dann aus dem Staub zu machen, sobald es brenzlig wird«, widersprach Seth empört.
»Das hier ist eine Geheimgesellschaft, kein Damenkränzchen«, ergänzte Siraj.
Isobel gab ihm einen Klaps.
»Sei du mal still«, zischte sie.
»Einverstanden«, entschied Ben. »Alle für einen, einer für alle. Das ist es, was ihr wollt? Die drei Musketiere?«
Alle sahen ihn aus großen Augen an, dann nickten sie langsam, einer nach dem anderen.
»Also gut. Ich sage euch, was ich weiß, aber das ist nicht viel«, verkündete Ben.
In den nächsten zehn Minuten hörte sich die Chowbar Society die ganze Version seiner Geschichte an, einschließlich der Unterhaltung mit Bankim und den Befürchtungen von Sheeres Großmutter. Als er zu Ende erzählt hatte, gingen die Fragen los.
»Hat schon mal einer von diesem Jawahal gehört?«, fragte Seth. »Siraj?«
Das wandelnde Lexikon der Gruppe konnte nur rundweg verneinen.
»Wissen wir, ob Mr Carter womöglich eine Rechnung mit so jemandem offen hatte? Vielleicht findet sich in seinen Unterlagen etwas darüber«, überlegte Isobel.
»Das kriegen wir raus«, sagte Ian. »Das Wichtigste ist jetzt, mit deiner Großmutter zu
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