Mitternachtspalast
dass die Nachrichten, die Ben brachte, die Ereignisse in eine dunkle, tödliche Richtung lenkten, aus der es für keinen von ihnen ein Zurück gab.
»Wir müssen reden«, sagte Ben langsam. »Aber nicht hier.«
Im Rückblick war dieser Maimorgen das erste Vorzeichen des Sturms, der sich unabwendbar über unserem Leben und im Windschatten unserer völligen Unbedarftheit zusammenbraute, dieser glückseligen Unschuld, die uns glauben ließ, wir befänden uns im Zustand der Gnade jener, die, weil sie keine Vergangenheit haben, die Zukunft nicht zu fürchten brauchen.
Wir wussten damals nicht, dass die Schakale des Unglücks nicht hinter dem bedauernswerten Thomas Carter her waren. Ihre Zähne lechzten nach anderem, jüngerem Blut, vom Stigma eines Fluchs gebrandmarkt, das sich weder in den Menschenmassen, die sich auf den Straßenmärkten drängten, noch im Inneren eines abgeschiedenen Palastes in Kalkutta verbergen ließ.
Auf der Suche nach einem geheimen Ort, wo wir uns anhören konnten, was er zu sagen hatte, folgten wir Ben zum Mitternachtspalast. An jenem Tag trug noch keiner von uns die Angst in seinem Herzen, dass dieser merkwürdige Unglücksfall und die unverständlichen Worte von den brandgeküssten Lippen unseres Direktors eine größere Bedrohung darstellen könnten als die bevorstehende Trennung und die Leere, welche die unbeschriebenen Blätter unserer Zukunft für uns bereitzuhalten schienen. Wir mussten erst noch lernen, dass die Jugend vom Teufel erfunden wurde, damit wir unsere Fehler machen, und die Jahre des Erwachsenseins und des Alters von Gott, damit wir dafür büßen können.
Ich erinnere mich auch, wie wir Ben zuhörten, als er von seiner Unterhaltung mit Thomas Carter erzählte, und ausnahmslos alle merkten, dass er uns etwas verheimlichte, was der verletzte Direktor ihm anvertraut hatte. Und ich erinnere mich an die besorgten Gesichter, die meine Gefährten und ich machten, als uns klar wurde, dass sich unser Freund Ben zum ersten Mal seit Jahren dafür entschieden hatte, uns die Wahrheit vorzuenthalten, was auch immer seine Gründe dafür sein mochten.
Als er dann auch noch verlangte, alleine mit Sheere zu sprechen, dachte ich, dass mein bester Freund soeben der Chowbar Society den Todesstoß versetzt hatte. Die Ereignisse sollten mir zeigen, dass ich wieder einmal falsch über Ben geurteilt hatte.
Aber in diesem Moment brauchte ich nur das Gesicht meines Freundes zu betrachten, während er mit Sheere sprach, um zu erahnen, dass das Glücksrad seine Richtung geändert hatte und eine schwarze Hand auf dem Spieltisch erschienen war, deren Einsätze uns zu einer Partie lockten, die unsere Möglichkeiten überstieg.
Die Stadt der Paläste
Im diesigen Licht des feuchtwarmen Maitages wirkten die Gesichter der Steinreliefs und die Wasserspeier wie Wachsfiguren, von verborgenen Händen mit dem Messer geschnitzt. Die Sonne versteckte sich hinter einer dicken, aschgrauen Wolkendecke, und ein drückender Dunst, der sich in den Straßen der
Schwarzen Stadt
staute, stieg vom Hooghly River auf wie die todbringenden Dämpfe eines giftigen Sumpfes.
Ben und Sheere unterhielten sich hinter zwei umgestürzten Säulen im zentralen Raum des Mitternachtspalastes, während die übrigen ein Dutzend Meter entfernt warteten und dem Paar hin und wieder verstohlene, misstrauische Blicke zuwarfen.
»Ich weiß nicht, ob es gut war, meinen Freunden nichts davon zu sagen«, gestand Ben Sheere. »Ich weiß, dass es ihnen nicht gefällt und dass es gegen die Prinzipien der Chowbar Society verstößt, aber falls auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass sich tatsächlich ein Mörder in den Straßen herumtreibt, der es auf mich abgesehen hat – was ich bezweifle –, will ich sie auf keinen Fall da mit hineinziehen. Und dich auch nicht, Sheere. Ich kann mir nicht vorstellen, was deine Großmutter mit all dem zu tun hat, und bis ich es herausgefunden habe, ist es wohl das Beste, wenn das Ganze ein Geheimnis zwischen uns beiden bleibt.«
Sheere nickte. Ihr missfiel der Gedanke, dass dieses Geheimnis, das sie mit Ben teilte, irgendwie zwischen dem Jungen und seinen Freunden stand, aber gleichzeitig genoss sie die Nähe zu ihm, auch wenn die Angelegenheit möglicherweise ernster war, als sie im Moment ahnten.
»Ich muss dir auch etwas sagen«, begann Sheere. »Als ich heute Morgen kam, um mich von euch zu verabschieden, dachte ich, es hätte keine Bedeutung, aber jetzt sieht alles anders aus. Gestern Abend,
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