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Mitternachtspalast

Mitternachtspalast

Titel: Mitternachtspalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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vor mir zu fliehen, Sheere. Schon bald werden du und ich ein einziges Wesen sein. Ich bin nicht dein Feind. Ich bin deine Zukunft. Stell dich auf meine Seite, oder es wird dir so ergehen.«
    Jawahal hob die Scherben eines zerbrochenen Kristallglases vom Boden auf, schloss die Finger darum und presste sie fest zusammen. Das Kristall schmolz in seiner Faust, und zwischen seinen Fingern quollen dicke Tropfen flüssigen Glases hervor, die auf den Boden des Waggons fielen und im Schutt einen brennenden Spiegel bildeten. Dann ließ Jawahal Sheere los, und sie fiel wenige Zentimeter neben das dampfende Glas.
    »Tu jetzt, was ich dir sage.«
     
    Seth kniete neben einer glänzenden Pfütze auf dem Boden der Bahnhofshalle nieder und berührte sie mit den Fingerspitzen. Die Flüssigkeit war warm und dickflüssig wie vergossenes Öl.
    »Ian, komm mal her«, rief Seth.
    Der Junge kam näher und kniete neben ihm nieder. Seth zeigte ihm seine Hände mit der klebrigen Substanz. Ian tauchte ebenfalls seinen Zeigefinger in die Flüssigkeit, verrieb diese zwischen Daumen und Zeigefinger und roch daran.
    »Das ist Blut«, stellte der angehende Mediziner fest.
    Seth wurde blass und wischte schnell die Finger an den Hosenbeinen ab.
    »Isobel …«, flüsterte Seth. Er trat zurück und unterdrückte die Übelkeit, die in ihm aufstieg.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Ian beunruhigt. »Es ist frisch, oder zumindest sieht es so aus.«
    Er richtete sich auf und untersuchte die Umgebung des großen, dunklen Flecks.
    »Es gibt keine Fußspuren«, murmelte er.
    Seth sah ihn an, ohne zu begreifen, worauf er mit dieser Erkenntnis hinauswollte.
    »Wer auch immer dieses ganze Blut verloren hat, kann nicht weit gekommen sein, ohne eine Spur zu hinterlassen«, erklärte Ian, »selbst wenn man ihn weggeschleift hätte. Das ergibt keinen Sinn.«
    Während Seth über die Theorie seines Freundes nachdachte, ging er um den Blutfleck herum und sah die Beobachtung bestätigt, dass in mehreren Metern Umkreis keine Spuren zu sehen waren, die von ihm wegführten. Die beiden Freunde wechselten einen ratlosen Blick. Plötzlich erschien ein leiser Verdacht in Ians Augen, und Seth ahnte sofort, was seinem Freund durch den Kopf ging. Langsam legten beide den Kopf in den Nacken und sahen in die dunkle Kuppel hinauf.
    Ihr Blick fiel auf einen großen Kronleuchter, der in der Mitte der Kuppel hing. Daran war ein weißes Seil befestigt, an dem ein in einen glänzenden Umhang gehüllter Körper langsam hin und her baumelte. Seth und Ian schluckten entsetzt.
    »Ist er tot?«, fragte Seth vorsichtig.
    Ian sah zu dem makabren Fund auf und zuckte ratlos mit den Schultern.
    »Sollten wir nicht den anderen Bescheid sagen?«, schlug Seth nervös vor.
    »Sobald wir herausgefunden haben, wer es ist«, antwortete Ian. »Wenn es sein Blut ist, und alles scheint darauf hinzudeuten, dann kann es sein, dass er noch lebt. Hängen wir ihn ab.«
    Seth verdrehte die Augen. Er hatte erwartet, dass so etwas passieren würde, sobald sie die Brücke überquerten, doch als er nun feststellte, dass sich seine Befürchtungen bestätigten, wurde die Übelkeit, die in seiner Kehle hochkroch, noch stärker. Der Junge atmete tief durch und beschloss, nicht länger darüber nachzudenken.
    »Einverstanden«, willigte er resigniert ein. »Aber wie …?«
    Ian nahm den oberen Bereich der Halle in Augenschein und bemerkte eine metallene Plattform, die in etwa fünfzehn Metern Höhe am äußeren Rand der Kuppel entlanglief. Von dort führte ein schmaler Steg zu dem Kronleuchter, kaum mehr als ein Laufgang, der wahrscheinlich zur Wartung und Reinigung des Lüsters gedacht gewesen war.
    »Wir klettern auf den Laufgang und lassen den Körper dann runter«, entschied er.
    »Einer von uns muss hier unten bleiben, um ihn in Empfang zu nehmen«, wandte Seth ein, »und ich denke, das solltest du sein.«
    Ian sah seinen Freund prüfend an.
    »Bist du sicher, dass du allein da hoch willst?«
    »Ich bin ganz wild drauf«, entgegnete Seth. »Warte hier. Und rühr dich nicht von der Stelle.«
    Ian nickte und sah zu, wie Seth zu der Treppe ging, die zur oberen Ebene von Jheeter’s Gate führte. Als die Schatten seinen Freund verschluckt hatten und sich seine Schritte die Treppe hinauf entfernten, spähte er in die Dunkelheit um sich herum.
    Der Luftzug, der aus den Tunnels kam, wisperte in seinen Ohren und wehte kleine Staubpartikel über den Boden. Ian blickte wieder nach oben und versuchte vergeblich zu

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