Mitternachtspicknick
warm, die Sonne schien heiß und hell. Gleich würde sie in die Wellen tauchen. War das Leben nicht herrlich? Sechs Wochen Freiheit lagen vor ihnen, angefüllt mit Schwimmen und Reiten.
»Was haben Tom und Chris denn da?«, fragte Pat. »Lieber Himmel, einen riesigen Picknickkorb. Wollen die eine ganze Legion füttern?«
»Butterbrote, Schokolade, Obst und als Krönung eine ganze Pfirsichtorte«, rief Chris ihnen entgegen. »Wegen der Hitze finden alle Reitstunden erst heute Abend statt. Wir können den ganzen Tag am Meer bleiben, und dafür hat Toms Mutter uns etwas zu essen eingepackt.«
»Deine Mutter ist ein Schatz, Tom«, sagte Diane überwältigt. »So, und jetzt schnell. Ich kann es gar nicht mehr erwarten, mich in die Fluten zu stürzen!«
Die Eulenburg lag etwa zehn Kilometer nördlich von Husum, einsam zwischen endlos scheinenden grünen Wiesen, an deren Horizont ein paar Kiefern zu sehen waren. Von den oberen Stockwerken aus hatte man den Blick auf die glitzernde Fläche des Meeres, aber der Weg dorthin dauerte länger als erwartet. Er führte über üppig bewachsene Deiche, auf denen Hunderte von Schafen grasten.
»Das ist hier die übliche Art des Rasenmähens«, erklärte Tom. »Die ganze Küste hinauf könnt ihr das sehen. Auf allen Deichen tummeln sich die Schafe.«
Es gab einen schönen Sandstrand, und da gerade Flut war, reichte das Meer nahe heran, still und glatt wie ein silberner Spiegel. Eine richtige stürmische Brandung erlebte man hier selten. Tom sagte, bei Ebbe ziehe sich das Wasser ganz weit zurück und man könne ewig lang über den feuchten Sand wandern, bis man es erreichte.
»Wattwanderungen sind hier sehr beliebt«, erzählte er. »Aber man sollte nicht alleine zu weit gehen. Die Flut kommt ganz plötzlich, füllt die Priele und das Wasser steigt schnell. Dann ist es besonders gefährlich, wenn auf einmal Nebel herunterkommt und man die Richtung verliert. Das kann auch ganz schnell gehen. Es sind schon Leute nicht wiedergekehrt.«
Die anderen schauderten. So friedlich sah das Meer aus, so ruhig und sonnenbeschienen, und überall Seevögel, Möwen, die kreischend schrien, wenn sie sich in die Luft schwangen. Man konnte sich kaum vorstellen, dass dieses Paradies auch eine mörderische Falle werden konnte.
Einen Moment sagte keiner etwas, dann streifte Chris blitzschnell seine Shorts und sein T-Shirt ab und stand in der Badehose da.
»Also, ich gehe jetzt schwimmen. Ihr könnt ja nachkommen!«
Und schon rannte er ins Wasser.
Die erste Woche verging rasend schnell und alle lebten sich gut ein. Das Wetter blieb unverändert schön, sodass die Mädchen und Jungen den ganzen Tag am Meer verbringen konnten. Die Reitstunden fanden am frühen Morgen und späten Abend statt, und die einzige unliebsame Unterbrechung dazwischen war der theoretische Unterricht bei Frau Jung. Ihre Schüler stöhnten über ihre rigorose Art, ihnen alles Wissenswerte über Pferde beizubringen. Angie konnte sich gut vorstellen, wie sie früher als Gutsherrin über ihr Land geritten war und mit scharfer Stimme Befehle erteilt hatte. Sie fand die strenge, offenbar verbitterte Frau äußerst unsympathisch.
Kathrin hatte noch immer Schwierigkeiten mit dem morgendlichen Aufstehen. Erst wenn Angie ihr mit einem nassen Waschlappen drohte, kam sie auf die Beine. Sie schimpfte unentwegt auf Simone, aber gleichzeitig enthüllte sie ihre geheime Bewunderung für die Reitlehrerin dadurch, dass sie sie hemmungslos nachahmte. Sie hatte Herrn Stern dazu überredet, dass er sie mitnahm, als er einmal in die Stadt fuhr, und als sie zurückkehrte, hatte sie sich zwei schwarze Kleider, wie Simone sie mit Vorliebe trug, gekauft, dazu hellen Lippenstift und zehn hauchfeine Silberarmreifen. Alle staunten.
»Das muss ja ein Vermögen gekostet haben«, sagte Diane. »Du bist schön verrückt, Kathrin!«
»Wieso verrückt? Ich habe eben Geld. Geld spielt bei uns gar keine Rolle, wisst ihr. Und erst heute früh hat mein Vater mir ein paar schöne neue Scheine geschickt.«
»Ach, wie nett«, sagte Diane. »Dann könntest du mir ja auch endlich einmal das Geld wiedergeben, das ich dir für deine Fahrkarte ausgelegt habe.«
»Das hat keine Eile, mein Schatz, oder?«, fragte Kathrin, die gerade vor dem Spiegel stand und versuchte, ihre dunklen Haare auf die gleiche schwungvolle Art zu frisieren wie Simone. »Im Moment bin ich pleite, aber Papi schickt bald wieder etwas.«
»Hoffentlich tut Papi das«, warf Angie ein. »Weißt du,
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