Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
sonntäglichen Teegesellschaften und Empfängen teilgenommen, die diesem Ball vorausgegangen waren. Sie lauschten interessiert, was man sich über die Favoritinnen der diesjährigen Brautlotterie zu berichten wusste.
Die bezaubernde Lilith Shelton würde die Tafel eines jeden Mannes schmücken. Zudem stellte ihr Vater satte zehntausend Dollar als Mitgift in Aussicht.
Margaret Stockton hatte zwar schiefe Zähne, brachte aber achttausend mit in die Ehe. Und sie konnte gut singen, eine begrüßenswerte Eigenschaft bei einer Ehefrau.
Elsbeth Woodward brachte es zwar nur auf fünftausend Dollar, aber sie war hübsch und hatte ein nettes Wesen, also eine Frau, die einem Mann keinen Ärger machte. Und damit durchaus nicht zu verachten.
Fanny Jennings war aus dem Rennen. Der jüngste Vandervelt-Spross hatte bereits um ihre Hand angehalten. Jammerschade, denn sie wurde auf stolze achtzehntausend geschätzt.
So wurde ein Mädchen nach dem anderen taxiert. Als das Gespräch auf den letzten Boxkampf umschwenkte, warf ein Bostoner Abendgast ein: »Da ist doch noch eine, hab ich mir sagen lassen. Irgendein Mädchen aus dem Süden? Älter als die anderen?« Einundzwanzig, soweit er wusste.
Die New Yorker Gentlemen sahen einander betreten an. Schließlich räusperte sich einer. »Ähm ja. Sie meinen sicher Miss Weston.«
In diesem Augenblick spielte das Orchester ein Potpourri populärer Melodien aus den Geschichten aus dem Wienerwald , das Signal, das die Damen der Abschlussklasse ankündigte. Schlagartig schwiegen die Männer.
In weißen Ballkleidern schwebten die Debütantinnen auf die rosengeschmückte Empore und deuteten einen anmutigen Knicks an. Nach dem entsprechenden Applaus glitten sie über die mit Blütenblättern bedeckten Stufen in den Ballsaal und nahmen dort den Arm ihrer Väter oder Brüder.
Elsbeth lächelte so hinreißend, dass der beste Freund ihres Bruders sein Urteil unvermittelt revidierte. Bislang hatte er das Mädchen immer für eine schreckliche Nervensäge gehalten. Lilith Shelton stolperte kaum merklich über den Saum ihrer Abendrobe und hätte sterben mögen, aber ein Templeton-Mädchen ließ sich natürlich nichts anmerken. Margaret Stockton sah trotz ihrer schief stehenden Zähne so bezaubernd aus, dass sich der Spross eines weniger betuchten Ablegers der Jay-Familie vom Fleck weg in sie verguckte.
»Katharine Louise Weston.«
Die Herren von New York City legten die Köpfe schief und drückten das Rückgrat durch. Die Herren aus Boston, Philadelphia und Baltimore spürten die leichte Unruhe und richteten ihr Augenmerk auf die Empore.
Sie trat aus dem Schatten des Rosenbogens und blieb vor der obersten Treppenstufe stehen. Die Gentlemen bemerkten auf Anhieb, dass sie sich von den anderen Mädchen abhob. Sie war kein sanftmütiges Persönchen, das sich um Heim und Herd kümmerte. Nein, diese Frau war eine Wildkatze, die das Blut eines jeden Mannes in Wallung
brachte. Das lackschwarze Haar wurde von silbernen Kämmen aus dem Gesicht gehalten und fiel ihr in dichten, weichen Locken über die Schultern. Und diese Augen – lavendelfarben und von dichten, dunklen Wimpern umrahmt. Ihre vollen Lippen glänzten feucht wie ein verführerischer Quell.
Ihr weißes Seidenkleid hatte einen gebauschten Überrock, der mit lavendelfarbenen Bändern und Schleifchen gerafft wurde. Der herzförmige Halsausschnitt unterstrich ihr makelloses Dekolleté, die glockenförmigen Ärmel endeten mit einem breiten Spitzensaum. Die erlesene Robe war wunderschön, und sie trug sie mit lässiger Anmut. Eine der violetten Schleifen hatte sich gelöst, und die Ärmel waren ihr wohl im Weg, da sie sie ungebührlich hoch über ihre wohlgeformten Unterarme schob.
Hamilton Woodwards jüngster Sohn trat vor und reichte ihr seinen Arm für das Defilee im Saal. Die kritischeren Gäste bemerkten, dass Kits Schritte etwas zu lang waren für eine Absolventin der Academy. Woodwards Sohn flüsterte ihr etwas zu. Sie neigte lachend den Kopf und zeigte dabei ebenmäßige, milchweiße Zähne. Jeder Mann im Saal hätte sich dieses Lachen gewünscht, auch wenn eine wohlerzogene junge Dame in der Öffentlichkeit nicht so laut hätte lachen dürfen. Elsbeth’ Vater, Hamilton Woodward, bedachte sie mit einem vernichtenden Blick.
Die Herren aus Boston, Philadelphia und Baltimore wollten jedoch mehr über diese Miss Weston wissen und fühlten ihren New Yorker Mitstreitern auf den Zahn.
Diese Gentlemen blieben zunächst vage mit ihren
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