Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
Andeutungen. Einige vertraten die Meinung, dass Elvira Templeton so kurz nach Kriegsende keine Südstaatlerin hätte aufnehmen dürfen. Aber immerhin war sie ja die Schutzbefohlene des Helden vom Missionary Ridge.
Nach und nach wurden ihre Kommentare persönlicher. Sie sei schon ein echter Hingucker. Aber als Ehefrau ein heikler Fall, oder? Zu alt. Und ein bisschen zu eigenwillig vielleicht? Wie sollte sich ein Mann auf seine Geschäfte konzentrieren, wenn eine solche Frau zu Hause auf ihn wartete?
Wenn sie überhaupt wartete.
Im Zuge der Unterhaltung erfuhren die Ostküsten-Junggesellen delikate Details. In den letzten sechs Wochen hätten zwölf angesehene New Yorker Heiratswillige um ihre Hand angehalten, aber sie habe alle glattweg abgewiesen. Dabei habe es sich um Herren aus den einflussreichsten Familien gehandelt, die irgendwann die Geschicke der Stadt, wenn nicht sogar des Landes bestimmen würden. Aber das schien die junge Dame völlig kalt zu lassen.
Am ärgerlichsten war jedoch, dass sie sich ausgerechnet für die absoluten Außenseiter zu erwärmen schien. Wie Bertrand Mayhew beispielsweise. Er stammte zwar aus einer guten Familie, war aber verarmt und ein Muttersöhnchen. Oder der mittellose, unscheinbare Hobart Cheney, der zudem einen Sprachfehler hatte. Absolut unverständlich, der Männergeschmack der reizenden Miss Weston. Sie ließ sämtliche Van Rensselaers, Livingstons und Jays für einen wie Bertrand Mayhew oder Hobart Cheney abblitzen.
Die Mütter dagegen waren erleichtert. Sicher, diese Miss Weston war unterhaltsam und hatte immer ein offenes Ohr für ihre kleinen Wehwehchen. Aber als Schwiegertochter? Ständig ließ sie irgendwelche Taschentücher oder Handschuhe herumliegen. Ihr Haar war nie ordentlich frisiert. Und wie sie einen ansah – herzerfrischend offen, aber bei weitem zu forsch für eine Dame. Nein, nein, für ihre Söhne kam Miss Weston nicht in Frage.
Kit wusste, wie man in Gesellschaftskreisen über sie dachte, und nahm es nicht einmal übel. Als Templeton-Mädchen konnte sie deren Ansichten über sie sogar verstehen. Augenblicklich war der bedauernswerte Hobart Cheney ihr Partner. Während er leise die Tanzschritte mitzählte, versuchte er angestrengt, ein Gespräch in Gang zu halten.
Er stolperte, doch hatte Elsbeth ihr in den vergangenen drei Jahren so viel beigebracht, dass sie dem Ärmsten elegant aus der Patsche half. Mit einem strahlenden Lächeln übernahm sie die Führung, bis er wieder in den Rhythmus fand. Der arme Mr. Cheney würde vermutlich nie erfahren, wie nah er an einer Zukunft als Kits Ehemann vorbeigeschrammt war. Ein netter, gutmütiger Mann, war er für ihre Zwecke indes ein bisschen zu intelligent. Bertrand Mayhew stellte diesbezüglich vermutlich die bessere Alternative dar.
Sie spähte zu Mr. Mayhew, der verloren im Saal herumstand und auf den ersten der beiden Tänze wartete, die sie für ihn reserviert hatte. Im Stillen seufzte sie gequält.
Er war nicht viel größer als sie, um die vierzig und recht untersetzt. Zeit seines Lebens hatte er mit seiner Mutter zusammengelebt. Und jetzt, nach ihrem Tod, suchte er händeringend eine Frau, die deren Platz einnahm. Und Kit hatte fest vor, diese Frau zu werden.
Elsbeth war schockiert gewesen und hatte darauf gepocht, dass Kit betuchtere und attraktivere Männer als Bertrand Mayhew haben könne. Letztlich konnte sie ihre Freundin jedoch verstehen. Um Risen Glory zurückzubekommen, brauchte Kit den Trauschein und keine Reichtümer. Und ein Mann, der eine brave, zurückhaltende Ehefrau suchte, war partout nichts für sie.
Sie würde Bertrand bestimmt mühelos von ihrem Vorhaben
überzeugen können. Dass sie Risen Glory mit Kits ererbtem Vermögen zurückkauften, um dann dauerhaft dort zu leben. Genau darum hatte sie sich für ihn entschieden und nicht für einen der optisch bestechenderen Kandidaten. Nach dem Mitternachtssouper wollte sie sich mit ihm die Bilderausstellung von den Niagarafällen anschauen und ihn dahingehend manipulieren, dass er ihr einen Antrag machte. Das war mit Sicherheit eine ihrer leichtesten Übungen. Und in einem Monat wäre sie schon auf dem Weg nach Risen Glory. Nur leider dummerweise als Mrs. Bertrand Mayhew.
Den Brief, den sie tags zuvor von Baron Cain bekommen hatte, verdrängte sie geflissentlich. Sie hörte kaum von ihm, zumeist nur dann, wenn er einen der vierteljährlichen Berichte von Mrs. Templeton erhalten hatte und mithin meinte, Kit gehörig den Kopf waschen zu
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