Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
gefallen ist.«
Ihr Herz raste, während sie fieberhaft überlegte. »Ich werde sie zurückkaufen«, meinte sie gedehnt.
»Überschätzen Sie sich nicht, Kit. Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie die anderen.«
»Das hat mit Selbstüberschätzung nichts zu tun«, gab sie ungehalten zurück. »Seit ich im Norden lebe, hab ich viel gelernt. Geld regiert die Welt. Und ich bekomme Geld. Damit kaufe ich Risen Glory von Baron Cain zurück.«
»Dann brauchen Sie aber viel Geld. Cain hatte nämlich die verrückte Idee, die Baumwolle selbst zu verspinnen. Derzeit baut er eine Spinnerei auf Risen Glory. Die Dampfmaschine hat er in Cincinnati bestellt.«
Davon hatte Sophronia ihr kein Wort geschrieben, aber das war jetzt auch nebensächlich. Momentan gab es Wichtigeres zu klären. Sie überlegte kurz und sagte dann: »Ich bekomme fünfzehntausend Dollar, Brandon.«
»Fünfzehntausend Dollar!« Das war ein Vermögen in einem besiegten Land, und für Bruchteile von Sekunden fixierte er sie ungläubig. Dann schüttelte er den Kopf. »Das hätten Sie mir besser nicht erzählt.«
»Wieso?«
»Weil… weil ich Sie nach Ihrer Rückkehr auf Risen Glory gern besuchen möchte. Aber was Sie mir da gerade erzählt haben, wirft einen Schatten auf meine ehrlichen Motive.«
Kit, deren eigene Motive nicht unbedingt ehrlich gewesen waren, musste lachen. »Seien Sie nicht töricht. Ich würde niemals an Ihren Motiven zweifeln. Und Sie dürfen mich natürlich gern auf der Plantage besuchen. Sobald
ich die entsprechenden Reisevorbereitungen getroffen habe, kehre ich zurück.«
Ihre Entscheidung stand. Sie konnte Bertrand Mayhew nicht heiraten, jedenfalls noch nicht. Erst musste sie sehen, wie sich die Dinge zwischen ihr und Brandon Parsell entwickelten. Ganz egal, was Cain in seinem Brief angeordnet hatte – sie fuhr zurück nach Hause.
In dieser Nacht träumte sie davon, dass sie Arm in Arm mit Brandon Parsell durch die Felder von Risen Glory streifte.
Dritter Teil
Eine Südstaaten-Lady
Die Jahre lehren viel, was die Tage niemals wissen.
Ralph Waldo Emerson
7
Die Kutsche holperte schwankend über die weithin sich erstreckende, gewundene Plantagenauffahrt. Kit war nervös und gespannt. Nach drei Jahren kam sie endlich wieder nach Hause.
Die tiefen Spurrillen im Bodenbelag waren frisch mit Kies aufgefüllt, die alten Eichen und Platanen zurückgeschnitten, so dass die Zufahrt gepflegter und breiter wirkte als in ihrer Erinnerung. In wenigen Augenblicken würde das Haupthaus vor ihr auftauchen.
Doch als die Kutsche die letzte Kurve nahm, sah Kit gar nicht in Richtung Haus. Ihr war nämlich etwas anderes aufgefallen.
Hinter den sanft ansteigenden Wiesen und dem Hof mit den neuen Außengebäuden erstreckten sich scheinbar endlos die Felder von Risen Glory. Und wie vor dem Krieg säumten junge Baumwollpflanzen gleich grünen Bändern den fruchtbaren, dunklen Boden.
Kit trommelte auf das Kutschendach, worauf ihre Begleiterin erschrocken zusammenfuhr. Das Pfefferminzbonbon, das sie eben in den Mund schieben wollte, verschwand auf Nimmerwiedersehen in den gebauschten Röcken ihres weißen Kleides.
Dorthea Pinckney Calhoun kreischte entsetzt auf.
Selbst den aufmüpfigeren unter den Templeton-Mädchen war klar, dass sie nicht ohne Begleitung reisen und schon gar nicht allein mit einem unverheirateten Mann unter einem Dach leben durften. Dass Cain Kits unsäglicher
Stiefbruder war, änderte nichts an dieser Tatsache. Und um ihm nur ja keinen Vorwand zu liefern, dass er sie postwendend zurückschickte, hatte sie sich etwas einfallen lassen müssen.
Also hatte sie Miss Dolly, eine mittellose Frau aus den Südstaaten, die seit vielen Jahren im Norden lebte und sich nach ihrer Heimat sehnte, als Gouvernante engagiert. Den Namen hatte Kit von der Pfarrersfrau Mary Cogdell erfahren, einer entfernten Verwandten von Miss Dolly. Zierlich und mit silberblonden Korkenzieherlöckchen, erinnerte Dolly an eine in die Jahre gekommene Puppe. Gut über die fünfzig, liebte sie Rüschenkleider und weite Röcke, unter denen sie mindestens acht Petticoats trug.
Kit war schon aufgefallen, dass ihre Begleiterin gern kokettierte und den älteren Gentlemen schöne Augen machte. Und sie schien immer in Bewegung. Ihre Hände in den fingerlosen Handschuhen gestikulierten pausenlos, ihre silbrigen Löckchen wippten, ihre pastellfarbigen Rüschen und Schleifchen raschelten in einem fort. Sie erzählte von Hauben und Hustenmedizin, von den Porzellanhunden,
Weitere Kostenlose Bücher