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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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sich eine Stimme
meldete. »Sagen Sie ihm, es ist dringend.«
Die Lippen wütend zusammengepresst, den finsteren Blick
auf die inzwischen zitternde Lavinia geheftet, wartete sie, dass
Mrs. Haversham sie zu Anthony Fleming durchstellte.

27. Kapitel
    Das freundliche Begrüßungslächeln, das Claire Robinson
aufgesetzt hatte, als Caroline durch die Tür kam, bröckelte in
dem Augenblick, als sie Ryan erblickte. »Sollte er nicht in der
Schule sein?«, erkundigte sie sich spitz.
    »Sollte er, ist er aber nicht«, gab Caroline ungerührt zurück,
und als von ihrer Seite keine weiteren Erklärungen folgten,
knipste Claire ihr Lächeln ganz aus.
    »Dieses Geschäft ist nicht unbedingt die geeignete
Umgebung für ein Kind«, erklärte sie, und die Kälte in ihrer
Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass diese Bemerkung als
Tadel zu verstehen war.
    Das kann ich jetzt nicht brauchen, dachte Caroline. Ich kann
damit nicht umgehen und fühle mich, als würde ich jeden
Moment explodieren. Den ganzen Fußmarsch von der West
Side hierher war ihr ein Schwall von Fragen durch den Kopf
gegangen, auf die sie keine vernünftige Antwort hatte finden
können. Fragen nach dem plötzlichen Verschwinden von
Rebecca Mayhew und Virginia Estherbrook und dem ebenso
plötzlichen Auftauchen von Melanie Shackleforth. Fragen, die
merkwürdige Angst ihres Sohnes vor Tony betreffend, und
nach den seltsamen Fotos, die er gesehen – die sie aber nicht
hatte finden können. Fragen bezüglich Brad und Andrea und
den Leuten, die ihr gestern – und da war sie sich sicher –
gefolgt waren. Fragen wie diese, warum Helena Kensington
urplötzlich wieder sehen konnte. Als sie schließlich vor dem
Antiquitätenladen ankam, glaubte sie, ihr würde der Kopf
platzen, und jetzt benahm sich Claire auch noch so, als ob sie
ein Kapitalverbrechen begangen hätte, weil sie ihren Sohn
mitgebracht hatte. Aber ich werde nicht explodieren, ermahnte
sie sich. Diesen Gefallen tue ich ihr nicht. »Sie haben absolut
Recht, Claire«, sagte sie, wobei es ihr nur bedingt gelang, das
Zittern ihrer Stimme zu meistern, »Tatsächlich bin ich ganz
und gar Ihrer Ansicht. Aber hier ist er heute nun mal, und hier
wird er auch bleiben. Zumindest so lange wie ich.«
    Es war der Ausdruck in Carolines Augen und das Beben
ihrer Stimme, die Claire dazu veranlassten, die Worte, die ihr
auf der Zunge lagen – von wegen, bei diesem Benehmen
könnte sie auch gleich gehen – hinunterzuschlucken. Stattdessen kniff sie die Lippen zusammen und musterte Caroline
etwas genauer. Ihr Haar, unter einem Kopftuch verborgen, war
strähnig, und ihr Make-up sehr nachlässig aufgetragen. Sie war
blass und schwitzte auf der Stirn, und das, obwohl die
Temperatur heute Morgen erheblich gesunken war. »Sind Sie
sicher, dass Sie heute überhaupt hier sein sollten?«, meinte
Claire, und ihre Stimme klang schärfer als beabsichtigt.
    Die Worte schienen etwas in Carolines Innerem gelöst zu
haben. »Wo sollte ich denn sonst sein?«, gab sie schnippisch
zurück. »Ich arbeite hier, erinnern Sie sich? Ich –« Im letzten
Moment bemerkte Caroline noch, wie verrückt sie klingen
musste, wenigstens für Claires Ohren. »Ist Kevin da?«, fragte
sie und sah sich im Geschäftsraum um.
    »Er … er ist hinten«, stammelte Claire und wich unwillkürlich einen Schritt vor Caroline zurück. »Er packt eine
Sendung aus.«
    »Dabei kann Ryan ihm ja helfen«, meinte Caroline beiläufig
und war schon auf dem Weg zur Hintertür. »Ich werde eine
Weile am Computer beschäftigt sein.«
    »Ich brauche Sie aber für –«, begann Claire, doch Caroline
ließ sie gar nicht erst ausreden.
»Es ist mir herzlich egal, wozu Sie mich brauchen, Claire.
Ich habe einige Dinge zu erledigen, und dann …« Sie zögerte,
und plötzlich sackten ihre Schultern herab, als hätte jemand die
Luft aus ihr herausgelassen. »… und dann weiß ich auch
nicht«, beendete sie den Satz.
Sie stapfte mit so großen Schritten durch den Laden, dass
Ryan kaum hinterherkam, und stieß die Hintertür auf. Kevin
Barnes sah von einem kleinen Tisch auf, den er gerade
auspackte – einem Mahagoni-Klapptisch, den Caroline sich
noch vor ein paar Tagen sofort genauer angesehen hätte, für
den sie heute jedoch keinerlei Interesse aufbringen konnte.
»Hi«, sagte Kevin und grinste, als er Ryan sah. »Sieh mal an,
wen haben wir denn da?« Doch sogleich verschwand sein
Grinsen und machte einer ernsten Miene Platz.

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