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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Geheimnisse erklären, in die Virginia Estherbrook ihre
Vergangenheit stets gehüllt hatte. Von wegen »die Rollen
leben«, darum ging es gar nicht – sondern vielmehr darum, das
Familiengeheimnis zu hüten, das angesichts der damaligen Zeit
gewiss die Karriere ihrer Mutter zerstört hätte.
Und die Bilder, die Ryan gesehen hatte – das mussten alte
Aufnahmen von Faith Blaine gewesen sein.
Caroline verspürte im ersten Moment eine ungeheure
Erleichterung, doch so schnell wie diese kam, verebbte sie
auch wieder.
Was war mit den Bildern von Tony?
Tony, in dieser altmodischen Kleidung.
War es möglich, dass Tony seinem Urgroßvater genauso
frappierend ähnelte wie Melanie ihrer Großmutter?
Falls Faith Blaine ihre Großmutter war, korrigierte Caroline
sich. Was vielleicht an den Haaren herbeigezogen war. Der
Umstand allein, dass Blaine und Virginia beide im Rockwell
wohnten, hatte an sich ja noch keine Bedeutung. Und die
Ähnlichkeit könnte genauso gut durch Make-up hergestellt
worden sein – wie viele Schauspielerinnen kannte sie, die sich
allein durch Schminke in jemand ganz anderen verwandeln
konnten?
Oder pflegte sie schon wieder ihre Paranoia?
Rebecca Mayhew und Virginia Estherbrook waren verreist,
und die Nichte, die derweil in Virginias Wohnung wohnte, sah
ihr verblüffend ähnlich. Na und?
Doch so sehr sie auch versuchte, die Gedanken an diese
Bilder, die Ryan gesehen hatte, loszuwerden, sie kamen immer
wieder zurück.
Die Bilder aus dem Album auf der unteren Ablage des
Lampentischchens beim Kamin. Der viereckige staubfreie
Fleck auf der Ablage des Tischchens, den sie gesehen hatte,
hätte der Größe nach ohne weiteres von einem Fotoalbum
stammen können.
Und wenn dieses Album nur alte Familienfotos enthielt,
überlegte sie weiter, warum hatte es Tony dann nicht einfach
wieder an seinen Platz zurückgelegt?
Warum verbarg er es?
Warum hatte er es in den Schreibtisch eingeschlossen, der
wiederum in dem abgeschlossenen Arbeitszimmer stand, aus
dem Tony nicht nur Ryan, sondern auch sie selbst verbannt
hatte?
Ihr Blick fiel auf den dicken Schlüsselbund, der neben der
Tür zum Ladenraum an einem Haken hing und mindestens
hundert Schlüssel enthielt: alle Arten von Schlüsseln, manche
so groß, dass Caroline sich nicht vorstellen konnte, in welche
Art von Schloss sie passen könnten, andere so winzig, als
gehörten sie zu einem Puppenhaus. »Gott allein weiß, wo die
alle herkommen«, hatte Claire an Carolines erstem Arbeitstag
erklärt. »Immer wenn ich einen Schlüssel finde, hänge ich ihn
dazu. Und Sie würden staunen, wenn Sie wüssten, wie oft ich
damit schon Schubladen oder Schränke aufgesperrt habe, wenn
die Eigentümer den passenden Schlüssel verloren hatten. Ich
bezweifle, dass es in ganz Manhattan eine Schublade –
respektive Schreibtisch, Schrank oder was immer – gibt, die
ich nicht mit einem dieser Schlüssel aufbekomme. Ganz
besonders nicht, wenn sie älter als hundert Jahre sind.«
Der Schreibtisch in Tonys Arbeitszimmer war mit Sicherheit
älter als hundert Jahre.
Kurz entschlossen nahm sie den Schlüsselbund von der
Wand und steckte ihn in ihre Umhängetasche.
»Komm, Ryan«, sagte sie. »Wir gehen heim.«
»Ach, Mom«, maulte er. »Muss das sein? Kann ich nicht
hier bleiben und Kevin helfen?«
»Nein, kannst du nicht«, schnappte Caroline. »Keine
Widerrede. Du tust, was ich dir sage!«
»Sehr freundlich, ich muss schon sagen«, bemerkte Claire
Robinson säuerlich, nachdem Caroline ohne ein Wort oder nur
ein Nicken mit ihrem Sohn im Schlepptau aus dem Laden
gerauscht war.
»Ach, Claire, sei nicht so streng mit ihr«, sagte Kevin
besänftigend, der gerade aus dem Hinterzimmer nach vorn
gekommen war. »Sie hat erst kürzlich ihre beste Freundin
verloren.«
Claire bedachte ihn mit einem kalten Blick. »Und hat eben
erst geheiratet, die Flitterwochen auf Mustique verbracht und
ist in eines der renommiertesten Wohnhäuser der Stadt
gezogen. Komisch, warum fällt es mir nur so schwer, Mitleid
für sie aufzubringen?«
Kevin senkte die Stimme zu einer perfekten Parodie der
unaufrichtigen Aufmerksamkeit, die Claire ihren Kunden
gewöhnlich entgegenbrachte. »Verzeih mir, Liebe – ich
vergaß! Um zu wissen, wie es ist, einen Freund zu verlieren,
muss man natürlich erst einmal einen haben, nicht wahr?«
Claire presste die Kiefer aufeinander, und einen Moment
lang fragte sich Kevin, ob sie ihn für diese Bemerkung feuern
würde. Während

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