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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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dreimal getränkt hatte. »Du wirst
noch an einem Magengeschwür zugrunde gehen und mich zur
Witwe machen«, hatte ihm seine Frau tausendmal erklärt. Doch
jetzt saß er allein in ihrer ehemals gemeinsamen Wohnung an
der 118. Straße, und sie lag in New Jersey auf dem Friedhof.
Vielleicht hätte er ihr wegen ihres Zigarettenkonsums stärker
ins Gewissen reden sollen, aber andererseits – he, das war ihr
Leben gewesen. Nun waren die Enchiladas – die Mikrowellenausgabe, die gar nicht so schlecht schmeckte, wenn man sie mit
genügend Tabasco würzte – nahezu seine allabendliche
Gesellschaft. Enchiladas und die Akten des jeweiligen Falles,
an dem er gerade arbeitete. Manchmal fragte er sich, warum er
die Wohnung überhaupt noch hielt. Im Bereitschaftsraum des
Dezernats gab es auch ein Mikrowellengerät, und meistens war
eine der Zellen frei, auf deren Pritschen er fast genauso gut
schlief wie in seinem eigenen Bett. Er schob sich noch eine
Portion in den Mund und machte sich dann daran, den Bericht
durchzugehen, den Maria Hernadez für ihn getippt hatte.
    Für einen Neuling hatte sie sich ganz wacker geschlagen –
vielleicht ein paar Fragen ausgelassen, doch im Großen und
Ganzen hatte sie die Informationen beigebracht, die er
brauchte: Wie gut die Personen aus dem Adressbuch Costanza
kannten; wann sie sie zuletzt gesehen haben; ob sich jemand
über sie geärgert hatte; und – was Oberholzer wirklich sehr
interessierte – ob es einen Freund gab, einen momentanen oder
früheren, der zur Eifersucht neigte.
    Nur sieben der Telefonnummern aus dem Buch waren nicht
mehr aktuell und gehörten Teilnehmern aus anderen
Bundesstaaten. Mit den örtlichen Nummern war Costanza
anscheinend sehr gewissenhaft verfahren; bei denjenigen, die
Hernandez nicht erreicht hatte, hatte entweder niemand
abgehoben oder sich der Anrufbeantworter eingeschaltet.
Keine Einzige dieser Nummern hatte sich laut automatischer
Ansage geändert oder war abgemeldet worden. Was die Leute
betraf, mit denen Hernandez gesprochen hatte, waren die
Antworten übereinstimmend, zumindest unter denen, die
behaupteten, sie gut genug gekannt zu haben.
    Demnach hatte es keinen Freund gegeben. Nach Aussage
ihrer Freundinnen hatte Andrea Costanza im College und in
den Jahren danach einige Bekanntschaften gehabt, doch später
dann nicht mehr. Oberholzer, der zwischen den Zeilen lesen
konnte, sah seinen Eindruck von Costanzas Wohnung bestätigt:
Andrea Costanza war auf dem besten Weg, eine Katzenfreundin zu werden. Und Katzenfreundinnen waren gemeinhin
harmlos.
    Nachdem er den inzwischen kalt gewordenen Rest seiner
Enchiladas noch einmal kräftig mit Tabasco nachgewürzt hatte,
nahm er sich seine Notizen zu dem Gespräch mit Dr.
Humphries vor.
    Ein Gespräch, bei dem er nicht viel Neues erfahren, jedoch
von der ersten Sekunde an nur den Wunsch gehabt hatte, die
Wohnung schnellstens wieder verlassen zu können. Seit seiner
Kindheit kannte er dieses Gebäude, das wie eine alte
aufgetakelte Vettel über den Central Park wachte und längst
vergangenen Zeiten nachtrauerte. Nie hatte er verstanden, was
an diesem alten Gemäuer exklusiv sein sollte, und sich stets
gewundert, dass überhaupt jemand darin wohnen wollte. Von
außen hatte er das Gebäude immer als finster empfunden, und
nachdem er es nun erstmals von innen gesehen hatte, fand er
seinen Eindruck nur bestätigt. Die Eingangshalle war
offensichtlich seit der Fertigstellung des Gebäudes nicht mehr
renoviert worden, und hätte Oberholzer es nicht besser
gewusst, hätte er Stein und Bein geschworen, dass der Portier
schon seit hundert Jahren in seiner Loge saß. Der Aufzug
machte ihm einen so antiquierten Eindruck, dass er tatsächlich
in Erwähnung gezogen hatte, die Treppe zu nehmen.
    Dr. Theodore Humphries hatte ziemlich genau Oberholzers
Erwartungen entsprochen – er war zwar nicht ganz so alt wie
das Wohnhaus, hatte aber seine Jugend schon lange hinter sich
gelassen. Sein ergrauendes Haar wurde schütter, und sein
Anzug war mindestens so antiquiert wie die Einrichtung. Dazu
passte jedoch die Sprechweise des Arztes. Als Oberholzer ihm
den Grund seines Besuchs erklärt hatte, hatte Humphries
genickt und die Lippen zu einem sparsamen Lächeln verzogen.
»Ich kann nicht behaupten, dass mich Ihr Besuch überrascht,
bin ich doch wahrscheinlich derjenige, der, wie Sie sagen, ›das
Opfer als Letzter lebend gesehen hat‹. Zudem war mein
Gespräch mit

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