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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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hatte und so überzeugend
erzählte, dass jeder potentielle Käufer nicht umhin konnte zu
glauben, dass dieses Stück tatsächlich seinen Preis wert war.
Und obgleich Irene Delamond ganz offensichtlich keine arme
Frau war, machte ihre Offenheit, mit der sie die Vase
bewunderte, es Caroline unmöglich, in die Claire-RobinsonTrickkiste zu greifen. »Ich weiß eigentlich nichts Genaues über
ihre Herkunft«, gestand Caroline ein. »Ich denke, sie soll wie
etwas aus dem achtzehnten oder neunzehnten Jahrhundert
aussehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es eine
Reproduktion ist.«
»Ach, das kümmert mich nicht«, verkündete Irene
    Delamond. »Ich fürchte, ich muss sie haben!«
»Für neunhundert Dollar?«, platzte Caroline heraus.
Irene ließ ein perlendes Lachen hören, das beinahe wie
    Musik klang. »Soll ich lieber die Hälfte des Preises dafür
bieten und dann den ganzen Nachmittag mit Ihnen
verhandeln?« Ehe Caroline noch den Mund aufmachen konnte,
beantwortete sie ihre Frage selbst: »Na, darauf können Sie
lange warten. Es ist mir egal, woher die Vase stammt, denn ich
weiß jetzt schon, dass sie mir neunhundert Dollar wert ist.
Würden wir zu handeln beginnen, würde ich entweder das
Gefühl haben, vielleicht doch zu viel bezahlt zu haben, oder
aber im umgekehrten Fall Sie so heruntergehandelt zu haben,
dass Sie anschließend Ärger mit ihrem Boss kriegen. Und das
möchte ich nun überhaupt nicht.«
»Da haben Sie Recht«, pflichtete ihr Caroline bei. »Aber was
um alles in der Welt hat Sie in diesen Laden verschlagen? Ich
dachte, Sie wohnen drüben an der West Side.«
    Wieder perlte neues Lachen durch den Raum. »Das stimmt
auch. Aber ich schlage gerade drei Fliegen mit einer Klappe:
Ich gehe gern spazieren, am liebsten in Verbindung mit einem
Einkaufsbummel. Und Sie und Ihre Kinder haben mir heute
Vormittag im Park so gefallen, dass ich spontan beschlossen
habe, auf einen Sprung bei Ihnen vorbeizuschauen.«
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen.« Niedergeschlagen
fixierte sie das Seladon-Unding. »Darf ich annehmen, dass Sie
diese Vase gar nicht wirklich kaufen möchten?«
    »Aber natürlich will ich diese Vase!«, rief Irene aus. »Ich
finde sie ausgesprochen hübsch.« Sie kramte in ihrer Tasche –
einem eckigen, ranzenartigen Gebilde, das kunstvoll bestickt
und sicherlich sehr alt war – und brachte eine goldene
Geldklammer zum Vorschein, deren Gravuren von der
jahrelangen Benutzung fast völlig abgewetzt waren. »Wird die
Zustellung extra berechnet?«
    »Selbstverständlich nicht«, versicherte Caroline und überschlug, während sie die Quittung ausstellte, kurz den immensen
Gewinn, den Claire mit dieser Scheußlichkeit von Vase
erzielen würde. »Ich bin sicher, dass wir Ihnen die Vase am
Montag liefern können. Ansonsten könnte ich sie Ihnen auch
heute Nachmittag nach Geschäftsschluss vorbeibringen.«
    »Nein, nein, Montag passt mir vorzüglich«, wehrte Irene ab.
»Es ist schlimm genug, dass Sie den ganzen Nachmittag auf
Ihre Kinder verzichten müssen.« Sie zupfte neun Scheine aus
der Klammer, zählte noch einmal sorgfältig nach und reichte
Caroline dann den Betrag. »Schicken Sie die Vase einfach an
100 Central Park West.«
    Caroline klappte der Mund auf. »Das Rockwell?«, fragte sie
so erstaunt, als hätte sie sich verhört. »Sie machen Witze!«
Eine von Irenes bleistiftdünnen Brauen hob sich um einen
Millimeter. »Kennen Sie das Gebäude?«, erkundigte sie sich
mit merklich kühlerer Stimme.
Caroline spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. »Ähm,
verzeihen Sie, ich habe das nicht so gemeint, wie es sich
angehört hat. Wir sind nur heute Vormittag an diesem Haus
vorbeigekommen, und da hat mein Sohn –« Verlegen hielt sie
inne, als ihr klar wurde, dass sie sich immer tiefer in den
Schlamassel hineinredete. Doch Irene lächelte schon wieder.
»Hat er Ihnen erzählt, dass dort Hexen wohnen?«, fragte sie
und senkte die Stimme zu einem übertriebenen Flüstern.
Caroline glühte inzwischen vor Verlegenheit, doch Irene ließ
erneut ihr perlendes Lachen hören. »Glauben Sie mir, wir alle
kennen diese Geschichten. Meine Lieblingsgeschichte ist die,
dass unser Portier eigentlich ein Troll ist, der nachts unter einer
der Brücken im Park schläft. Armer Rodney«, kicherte Irene.
»Zugegeben, er ist nicht der schönste Mann aller Männer, aber
ich denke nicht, dass ihn das zum Menschen fressenden
Ungeheuer qualifiziert.«
»Ich

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