Mitternachtsstimmen
dass Claire mit diesem doch
recht dünnen Kleidungsstück allen Witterungen zu trotzen
vermochte. Es war Kevin Barnes gewesen, der sie schließlich
aufklärte: »Sie besitzt Dutzende von diesen Dingern. Ich
vermute, sie hat eine Philippina angeheuert und irgendwo in
Brooklyn oder der Bronx eingesperrt, wo diese arme Maus
nichts anderes tut, als für Claire Trenchcoats zu nähen und sie
mit den immer gleichen Abnutzungserscheinungen zu
versehen. Ach, und da wäre noch der Trick mit dem Futter –
Baumwollbatist für den Sommer, Flanell für den Herbst. Und
Mark schwört, dass sie sogar einen mit Nerzfutter für die Oper
besitzt, aber da übertreibt das Lästermaul, glaube ich.«
Anfangs hatte Caroline ihm das nicht abgenommen, doch nachdem sie Claires Mäntel genauer in Augenschein genommen
und vier verschiedene Futter entdeckt hatte, wurde sie eines
Besseren belehrt.
Mit einem energischen Ruck zog Claire den Gürtel ihres
gegenwärtigen Trenchcoats straff und marschierte zur Tür.
Doch plötzlich hielt sie inne, unterzog eine große orientalische
Vase einer kritischen Musterung und drehte sich noch einmal
zu Caroline um. »Fügen Sie dem Preis von diesem Ding noch
eine Null hinzu. Ich bin so bald wie möglich zurück.« Ohne ein
weiteres Wort zog Claire die Tür auf und verschwand die
Madison Avenue hinunter.
»Ihnen auch einen angenehmen Nachmittag«, sagte Caroline
zu der langsam zufallenden Ladentür. Sie hängte ihren eigenen
abgetragenen Mantel – der es leider nicht mit dem lässigen
Schick von Claires Exemplaren aufnehmen konnte – an den
Haken im Hinterzimmer, fand auf Claires Schreibtisch einen
schwarzen Filzstift und kniete sich vor die hohe Bodenvase, die
neben der Ladentür stand. Dort stand sie schon, als Caroline
vor einem Jahr in diesem Laden angefangen hatte, und seither
hatte niemand auch nur das leiseste Interesse an diesem Stück
bekundet. Die Vase aus grünem Seladon war etwa einen Meter
hoch und mit Bambusornamenten in einem Senfgelb verziert,
das Caroline äußerst unappetitlich fand. Mit neunzig Dollar
war der Preis für diese Vase durchaus angemessenen,
gleichwohl man einen Liebhaber finden musste, der an dieser
Farbkombination Gefallen fand. Doch neunhundert Dollar?
Sicherlich hatte Claire ein anderes Stück gemeint. Caroline sah
sich um, doch was sonst noch in der Nähe stand, war ein
Schirmständer, der bereits mit zweihundert Dollar ausgezeichnet war, und ein Garderobenständer zu zweihundertfünfzig. Bei diesen Objekten eine Null hinzuzufügen, wäre derart
vermessen, dass sie garantiert niemand kaufen würde.
In der Hoffnung, das Richtige zu tun, änderte Caroline den
Preis der Vase, dann schlenderte sie im Laden umher,
arrangierte die Porzellanfiguren neu, die auf einem
viktorianischen Sideboard standen, rieb einen Fleck von einer
silbernen Teekanne, die den Stempel von Paul Revere höchstselbst trug und brachte Ordnung in den Schaukasten, der
angefüllt war mit diversen Zigarettenetuis, Schnupftabakdöschen und jeder Menge anderer Gegenstände, die vor
hundert Jahren vielleicht nützlich gewesen waren, Caroline
hingegen völlig überflüssig erschienen.
»Schätzchen, es ist gänzlich unwichtig, ob solche Dinge
einen Zweck erfüllen! Sie sind einfach nur hübsch!«, hatte
Kevin ihr erklärt, doch für Caroline fiel der Inhalt dieser
Vitrine nach wie vor unter Krimskrams. Ihr gefielen die großen
Stücke – die Chippendale-Schränke und Queen-Anne-Sessel,
die Tische aus der Werkstatt von Duncan Phyfe mit den
herunterklappbaren Seitenteilen und die herrschaftlichen
Schreibtische mit den vielen kleinen Laden und Geheimfächern. Sie untersuchte gerade einen Sekretär, der letzte
Woche hereingekommen war, in der leisen Hoffnung, hinter
einer der Schubladen ein lange verloren geglaubtes
Schmuckstück zu finden, als sie die Glocke hörte. Sie hob den
Blick und sah Irene Delamond zur Tür hereinkommen, die
Hand heben, als wollte sie ihr zuwinken, und dann plötzlich
innezuhalten, als hätte etwas anderes ihre Aufmerksamkeit
abgelenkt. »Ach, das ist ja ein Prachtstück!«, rief sie entzückt
aus und senkte den Blick. »Woher die wohl stammen mag?«
Caroline näherte sich Irene und stellte überrascht fest, dass es
die hässliche Vase war, die Ms. Delamond bewunderte.
Im Hinterkopf hörte sie Claire Robinson eine unglaubliche
Geschichte über die Herkunft dieser Vase zum Besten geben,
die sie sich gerade erst ausgedacht
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