Mittsommerzauber
entgegen. »Klar, mach ich sofort. Ich schreibe nur schnell die Rechnung.«
»Ach was, das ist nicht nötig«, widersprach Bertil. »Ist ein Geschenk des Hauses. Sag deiner Mutter schöne Grüße und richte ihr aus, dass ich mich schon auf unser gemeinsames Essen freue.«
Anna seufzte, dann streckte sie impulsiv die Hand aus und legte sie an Bertils Wange und dachte dabei, um wie viel einfacher es doch wäre, wenn er ein unausstehlicher Idiot wäre anstelle eines immer höflichen und liebenswerten Freundes aus Kindertagen. Dann wäre sie schon seit langem auf und davon!
»Bertil, ich habe dir doch schon so oft gesagt, dass du das nicht tun sollst! Die Familie Blomquist ist vielleicht nicht mehr so reich wie in früheren Jahren, aber wir sind auch nicht gerade arm und bedürftig. Soweit ich weiß, geht unser Sägewerk immer noch ganz gut. Wir können diesen Verbandskasten bezahlen, verstehst du?«
»Wozu?« Er beugte sich vor und küsste sie zärüich auf die Schläfe. »Es bleibt doch quasi in der Familie. Schließlich sind wir verlobt, oder nicht?«
Sie nickte und ahnte, dass sie dabei ziemlich gequält dreinschaute, Grund genug, sich rasch abzuwenden und weiter in den Karteikarten zu blättern.
*
Für Robert Dahlström war es ein merkwürdiges Gefühl, auf dem Flughafen von Arlanda bei Stockholm zu landen. In den letzten vierzehn Jahren war er in der ganzen Welt herumgekommen, und es gab kaum einen internationalen Flughafen, den er seither nicht betreten hatte. Aber kein einziges Mal in der ganzen Zeit war er in Schweden gewesen. Vielleicht lag es daran, dass er hier keine familiären Wurzeln mehr hatte. Er war neunzehn und gerade mit der Schule fertig gewesen, als er damals mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester nach Kanada ausgewandert war. Sein Vater war - wie er selbst inzwischen auch -Holzbauingenieur und hatte seine berufliche Zukunft in den endlosen Wäldern im Gebiet der Großen Seen gefunden. Seine Großeltern lebten nicht mehr, und auch sonst gab es keine Verwandten mehr in Schweden. Er hätte natürlich den einen oder anderen Freund aus Schulzeiten besuchen können, doch auch die waren inzwischen in verschiedene Winkel der Welt verstreut, sodass sich schlicht kein Anlass ergeben hatte, hierher zurückzukehren.
Robert erkannte eine gewisse Ironie dahinter, dass der Grund, der ihn jetzt nach all den Jahren doch noch herführte, weder familiärer noch auf andere Weise sentimentaler Natur war, sondern ausschließlich auf beruflichen Erwägungen beruhte. Aus demselben Grund war einst sein Vater nach Kanada gegangen - es war immer das bessere Angebot, das zählte.
Während er mit seinem Laptopkoffer zur Gepäckausgabe schlenderte, klingelte sein Handy. Das Display zeigte den Namen des Anrufers an. Es war James, sein Chef.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Alles bestens«, antwortete Robert. »Ich bin gerade angekommen. Morgen fahre ich weiter.«
»Haben Sie schon was in Erfahrung bringen können?«
»Ja, ich habe das angekündigte Material erhalten. Die Zahlen sehen gut aus.«
»Das klingt erfreulich. Wie geht es weiter?«
»Ich mache mich auf den Weg und melde mich dann.«
Robert trennte die Verbindung und ging weiter zum Laufband, um sein Gepäck zu holen.
In der Ankunftshalle wartete ein junger Mann in Chauffeursuniform mit einem Schild, auf dem Roberts Name stand. Robert verzog das Gesicht. Sein Chef neigte hin und wieder zu Übertreibungen. James Hartwood war Haupteigner einer der größten Holzverarbeitungsfirmen der Welt und schien zu glauben, es könne nichts schaden, diesen Umstand bei passender Gelegenheit zu demonstrieren.
»Robert Dahlström«, stellte Robert sich dem jungen Mann vor. »Anscheinend warten Sie auf mich.«
Der Junge lächelte eifrig. »Ich bin Jens. Ich soll Sie fahren.«
Was nicht zu übersehen war. Jens trug sogar eine Chauffeursmütze.
»Guter Service«, lobte Robert. »Aber leider völlig unnötig. Ich brauche Sie nicht.«
»Aber...«
»Ich habe mir einen Mietwagen bestellt.«
»Herr Dahlström, ich habe Anweisungen aus Toronto, dass ich...«
»Das kann ich mir vorstellen.« Robert grinste den Jungen an. »Ist schon in Ordnung so.« Er zog einen Fünfzig-Dollar-Schein hervor und schob ihn in Jens’ Hemdtasche.
»Soll ich Sie wirklich nicht fahren? Ich meine, Sie haben doch viel zu tun, und es...«
»Keine Sorge, ich kenne mich aus. Ich stamme aus der Gegend. Wird sich ja nicht viel geändert haben.«
Jens gab auf und zog achselzuckend
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