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Mittsommerzauber

Mittsommerzauber

Titel: Mittsommerzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
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seiner Wege. Auch ohne das fürstliche Trinkgeld würde er auf seine Kosten kommen. James ließ sich nicht lumpen und war im Übrigen dafür bekannt, dass er seine Auftragnehmer stets korrekt entlohnte, und sei es dafür, dass sie rufbereit irgendwo herumsaßen und darauf warteten, seine Befehle zu befolgen.
    Robert schob den Gepäckwagen in die Richtung, wo sich den Hinweisschildern zufolge die Autovermietung befand. Nicht lange, und er säße im Wagen und würde nach Norden weiterfahren. Es war ein merkwürdiges Gefühl, zu dem Ort unterwegs zu sein, an dem er aufgewachsen war. Es fühlte sich nicht annähernd so an, als käme er nach Hause. Vorhin, als er mit Jens darüber gesprochen hatte, war er nicht ehrlich gewesen. Seit damals hatte sich viel verändert. Vielleicht nicht hier in Schweden, aber bei ihm. Vor vierzehn Jahren war er ein Junge gewesen, jetzt war er erwachsen. Er fühlte sich wie ein Seefahrer an unbekannten Gestaden, doch gleichzeitig barst er beinahe vor Neugier. Robert Dahlström war mehr als gespannt darauf, das Land seiner Kindheit neu zu entdecken.

    *

    Anna stellte den Wagen vor dem Sägewerk ab, nahm den Verbandskasten vom Rücksitz und stieg aus. Wie immer, wenn sie hier oben ankam, atmete sie tief ein, um den unverwechselbaren Geruch intensiver wahrnehmen zu können. Es gab nichts in ihrem Leben, was mit dem Duft von frisch bearbeitetem Holz vergleichbar war. Dieser Geruch hatte sie von klein auf begleitet und war Bestandteil ihres Lebens gewesen, solange sie denken konnte. Ihr Vater hatte sie schon zum Holzfällen mit in die Wälder genommen, bevor sie richtig hatte laufen können. Jedenfalls erzählte ihre Mutter das bei jeder Gelegenheit, und Anna sah keinen Grund, es nicht zu glauben.
    Die Familie Blomquist und das Holz - das waren zwei Seiten einer Medaille. So oder so ähnlich äußerte sich Silvia Blomquist häufig zu diesem Thema. Anna akzeptierte derlei Bemerkungen als eine Art unabänderliche Familiendoktrin, während ihr Bruder dazu meist spöttische Kommentare abgab.
    Henner kam aus der großen Halle. Er wischte seine Hände an dem mit Sägestaub bedeckten Overall ab und lächelte sie an. »Hej, Anna. Heute sehen wir uns öfter, wie?«
    »Hej, Henner. Ja, die Arbeit führt mich her.« Sie gab ihm den Verbandskasten.
    Zwei andere Arbeiter kamen vorbei und tippten grüßend an ihre Mützen. »Du siehst toll aus«, sagte der eine, ein junger Mann aus Svesksund, der hier erst vor kurzem seine Lehre begonnen hatte.
    »Supertoll«, bestätigte der zweite, der schon ein paar Jahre länger für Blomquist arbeitete. »Das muss die Liebe sein, oder?«
    Anna lachte bemüht. »Klar, was sonst? Wenn eine Frau gut aussieht, muss natürlich ein Mann dahinter stecken.«
    Sie wusste, dass die meisten Leute sie für eine Schönheit hielten, und in guten Augenblicken sagte ihr der Spiegel in ihrem Zimmer dasselbe. Doch wie jede Frau kannte sie zahllose unzulängliche Stellen an ihrem Körper und empfand mitunter eine Diskrepanz zwischen ihrem Selbstbild und dem Eindruck, den sie allem Anschein nach der Öffentlichkeit vermittelte. Gegenüber Komplimenten war sie nicht unempfänglich, aber häufig verursachten anerkennende Bemerkungen über ihr Aussehen ihr auch Unbehagen, was sie dazu veranlasste, mit burschikosen Erwiderungen darüber hinwegzugehen.
    Sie hatte sich bereits abgewandt, um zum Wagen zurückzugehen, als der schrille Klang der Alarmsirene sie abrupt innehalten ließ.
    Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte zum Eingang der Werkshalle zurück. »Was ist los?«, schrie sie.
    Henner stieß einen unterdrückten Fluch aus und stürzte in die Halle. Anna wollte ihm folgen, blieb aber stehen, als sie ihre Mutter näher kommen sah. Silvia Blomquist durchquerte den hinteren Teil des Parks, der das Haupthaus der Familie vom Bereich des Sägewerks trennte. Sie stieß das Gartentor auf und eilte auf das Hallentor zu. »Du lieber Himmel, was ist passiert?«
    Im nächsten Moment verstummte das durchdringende Geräusch, und Mikael Leifheit kam ins Freie. Der Vorarbeiter war hochrot im Gesicht, seine Lippen zu einer ärgerlichen Linie zusammengepresst.
    »Was war das?«, erkundigte sich Silvia besorgt.
    »Alles in Ordnung, Silvia. Die hintere Säge ist wieder heiß gelaufen. Ich hab sie stillgelegt.«
    »Mikael, das ist jetzt schon das zweite Mal in dieser Woche.«
    »Ich weiß. Ich kann es nicht ändern.«
    »Ich dachte, die Säge hätte einen neuen Motor bekommen.«
    »So war es geplant«,

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