Mittsommerzauber
musste endlich mit Bertil reden.
*
Harald wartete, bis Anna verschwunden war, bevor er das Büro seiner Mutter betrat. Er hätte sich nur zu gern vor dieser Unterredung gedrückt, doch ihre Stimme hatte derart unheilschwanger geklungen, dass er es nicht wagte, eine Ausrede vorzuschützen.
Immerhin hatte er sich vorher rasch rasiert und umgezogen. Berta hatte ihm vorhin in ihrer unverblümten Art an den Kopf geworfen, sie werde nicht länger in einem Haushalt kochen, in dem Penner freien Zutritt hätten. Dabei hatte sie ihn auf eine Weise angestarrt, die ihm das Blut in die Wangen getrieben hatte.
Silvia schaute ihn ernst, aber mit einer Spur von Wohlwollen an, als er ihr Büro betrat. Harald registrierte es mit Erleichterung. Sie hatte ihn nicht herbestellt, um ihm wieder einmal den Kopf zu waschen, sondern wollte ihn vermutlich dafür loben, dass er diesen Betrüger entlarvt hatte.
»Na, alles geregelt, Mama?«, fragte er leutselig. Er schob die Hände in die Hosentaschen, weil seine Finger so heftig zitterten, dass sie es sofort merken würde. Mit den Fingerspitzen ertastete er das leere Röhrchen, und er ging im Raum auf und ab, weil er unmöglich ruhig auf einem Stuhl sitzen konnte.
»Bist du mir dankbar, Mama?«
»Ja, das bin ich«, sagte Silvia ernst, und diese Worte stiegen Harald zu Kopf wie schwerer Wein. Er hätte jubeln mögen, auch wenn ihn der momentane Entzug beinahe umbrachte.
»Ich bin dir dankbar, weil ich nun immerhin weiß, dass du dir Gedanken um das Werk machst«, fuhr Silvia fort. »Allerdings stehen wir jetzt nicht besser da als vorher. Ich hatte gehofft, dass ein fähiger Geschäftsführer alles wieder in Ordnung bringt.«
Harald verharrte mitten im Schritt. »Aber du hast einen fähigen Geschäftsführer, Mama! Mich!«
Als hätte sie geahnt, dass er das sagen würde, schob sie in einer leicht abwehrenden Geste das Kinn vor. »Du hast nicht verhindert, dass sich in den vergangenen vier Jahren unser Auftragsvolumen beinahe halbiert hat.«
»Es sind schwere Zeiten, Mama. Nicht nur für uns.« Harald begann zu ahnen, dass seine Mutter ihn nicht hergebeten hatte, um ihm zu danken, sondern dass der Zweck seines Besuches ein ganz anderer war. Ein kalter Finger schien über seine Wirbelsäule zu streichen, und Harald konnte kaum das Zittern unterdrücken, das plötzlich seinen ganzen Körper erfasste.
»Ich sage dir jetzt etwas, Harald. Und ich möchte, dass du mir sehr aufmerksam zuhörst.« Sie hielt inne, um sich seiner ungeteilten Aufmerksamkeit zu vergewissern. »Ich gebe dir noch eine Chance. Sechs Monate. Um zu beweisen, dass du die Kraft und den Willen hast, unser Werk zu führen.«
»Du setzt mir ein Ultimatum?« Harald fühlte sich, als steckte seine Brust in einem Schraubstock. Er befingerte das Tablettenröhrchen und merkte, dass seine Hände nass waren vor Schweiß. Wenn er es nicht schaffte, bald für Nachschub zu sorgen, würde er durchdrehen.
»In der Tat«, sagte seine Mutter, und einen Moment lang fragte er sich desorientiert, was sie damit meinte. Dann erinnerte er sich. Sie hatte ihm eine Sechsmonatsfrist gesetzt.
Er murmelte irgendetwas, von dem er hoffte, dass es verbindlich klang. Nur jetzt keinen Streit anfangen, dazu war er nicht in der Lage.
»Und wenn du versagst, werde ich dich von deinen Aufgaben entbinden und einen Geschäftsführer einsetzen, der wirklich kompetent ist. Dir ist hoffentlich klar, dass ich es ernst meine.«
Er nickte wortlos, und anschließend kriegte er sogar irgendwie einen unauffälligen Abgang hin. Doch als er draußen vor dem Haus stand, kämpfte er gegen den aufsteigenden Brechreiz an, und einen Moment lang musste er sich an der Hauswand abstützen, weil er sonst in die Knie gegangen wäre. Taumelnd setzte er sich in Bewegung, nur noch beseelt von dem Verlangen, sich endlich das zu holen, was er brauchte.
*
Anna wusste nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte, als sie die Tür zur Apotheke verschlossen vorfand. Sie brannte darauf, es endlich hinter sich zu bringen.
Davon überzeugt, dass Bertil nicht weit sein konnte, spähte sie über den Platz, und richtig, er saß mit Silke zusammen drüben vor dem Café und machte seine obligatorische Kaffeepause. Um diese Tageszeit war meist nicht viel los in der Apotheke.
Sie schloss die Tür auf und ging ins Lager, um die restlichen Kisten auszupacken, und als sie wenige Minuten später das Geräusch der Türglocke hörte, straffte sie sich. Es war so weit.
Doch es war
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