Mittsommerzauber
noch verstärkte.
»Ich weiß doch auch nicht«, sagte sie leise. »David, ich muss nach Chicago! Wenn ich diesen Termin platzen lasse, habe ich meinen Lebenstraum aufgegeben! Ich kann es nicht tun, verstehst du das nicht?«
»Doch«, sagte er ruhig. »Ich habe noch Urlaub. Ich kann das hier übernehmen, jedenfalls fürs Erste. So lange, bis du wieder da bist und wir gemeinsam in aller Ruhe überlegen, was wir machen.«
Ihre Augen leuchteten auf. »Das würdest du für mich tun?« Doch im nächsten Moment verfinsterte sich ihre Miene. »Das heißt, du willst nicht mit nach Chicago, oder?«
»Ich kann nicht gleichzeitig hier und dort sein.«
Sie nickte langsam, während sie bereits ihr Handy hervorzog, um die Nummer des Taxidienstes einzutippen. »Na schön. Ich fliege rüber und mache alles klar. Und dann komme ich zurück, damit wir das hier regeln können.« Sie machte eine abfällige Geste in die Runde. »Danach klären wir das mit uns beiden. Und mit deinem neuen Job in Chicago.«
David wollte etwas erwidern, besann sich aber. In einem Punkt hatte sie Recht: Was immer sie zu besprechen hatten - es hatte Zeit, bis sie wieder zurück war.
*
Eva hatte sich in das kleine Hinterzimmer des Ladens zurückgezogen, wo Britta sonst immer die anfallenden Büroarbeiten erledigte. Es war ziemlich eng hier drin. Der winzige Raum bot gerade genug Platz für ein kleines Sofa, einen schmalen Schrank und einen PC-Tisch.
Es war Wahnsinn, nachts um ein Uhr immer noch hier herumzuhocken, aber Eva wusste genau, dass sie sowieso nicht schlafen konnte, wenn sie jetzt zu Bett ging. Also konnte sie genauso gut gleich hier bleiben und die Zeit für sinnvolle Dinge nutzen. Zum Beispiel, indem sie sich im Internet über Schafe informierte. Mithilfe der üblichen Suchseiten fand sie schnell, was sie interessierte. Sie betrachtete diverse Bilder, auf denen Gotlandschafe zu sehen waren. Es handelte sich dabei um die älteste schwedische Schafrasse, mit einem dichten Fell, dessen Farbe zwischen Silbergrau und Dunkelbraun variierte.
Gotlandschafe, so las Eva weiter, waren genügsam, robust und wetterfest. Das erklärte, warum sie des Nachts nicht in den Stall getrieben werden mussten. Außerdem hieß es weiter, dass das Goüandschaf nur geringe Ansprüche an Fütterung und Haltung stellte. Eva verkniff sich ein Grinsen. »Nun ja«, murmelte sie. »Ein kleiner Viehtrieb am Tag, und wir haben lauter glückliche Schafe.«
Die Wolle dieser Schafrasse war hervorragend zum Spinnen und Walken geeignet. Ein Gotlandschaf lieferte bei der Schur etwa einen Wollertrag von rund vier Kilo.
Eva ließ den Cursor weiter über den Bildschirm wandern und fragte sich dabei, wie sie das Problem der immer noch fehlenden Wolle lösen sollte. Spätestens morgen würde sie diese Sache erneut in Angriff nehmen müssen, sonst würde es ewig dauern, bis sie wieder Pullover im Sortiment hatten.
Immerhin war jetzt sichergestellt, dass sich jemand auf dem Hof aufhielt. David Lilienberg hatte ihr versprochen, dass er sich darum kümmern würde.
David. Allein bei dem Gedanken an ihn spürte Eva, wie sie unruhig wurde. Ob er vielleicht morgen noch da war? Möglicherweise hatte er ja auch jemand anderen als Aushilfe eingestellt.
Eilig verdrängte sie jeden Gedanken an ein Wiedersehen. Inzwischen hatte sie von Britta erfahren, wie er zu Gustavs Tochter stand. Er war Monicas Lebensgefährte.
Mit anderen Worten, sie waren so gut wie verheiratet. Auf jeden Fall war er in festen Händen, daran gab es nichts zu deuteln.
Eva starrte auf den Bildschirm, bis ihr die Augen brannten. Altere Mutterschafe, las sie, warfen zwei bis drei Lämmer pro Jahr, die sie aufgrund ihrer hohen Milchleistung problemlos aufziehen konnten. Die Lämmer kamen vorwiegend von Dezember bis Januar oder von April bis Juli zur Welt, und sie wurden bis zu acht Monaten gesäugt. Somit blieb genug Milch für den schmackhaften Käse übrig.
Eva konnte sich nicht mehr konzentrieren. Sie schaltete den PC aus, stand auf und streckte sich, bis ihr die Arme wehtaten.
Sie hatte Gustav versprochen, sich um alles zu kümmern, und sie hatte ihr Möglichstes getan. Was immer nun weiter auf dem Hof geschah, es ging sie nichts mehr an. Das war ab sofort allein die Angelegenheit von David und Monica.
Sie nahm ihre Tasche und ging nach vorn in den Laden, wo sie das Licht ausknipste. Für heute hatte sie genug getan.
*
Gustav wälzte sich in seinem Bett herum und versuchte, die Schmerzen zu ignorieren, die
Weitere Kostenlose Bücher