Mittsommerzauber
sie meinte, sie sollten Katarina ruhig ein bisschen üben lassen. Annicka wisse doch bestimmt, dass Mütter es hassten, sich vor ihren Töchtern zu blamieren.
»Wir können uns ja inzwischen die kleinen Katzen ansehen. Hast du Lust?«
Annicka war sofort Feuer und Flamme.
»Super.« Sie strahlte. »Ich hab mir schon immer eine Katze als Haustier gewünscht.«
Katarina stöhnte auf.
»Was denn noch: ein Boot, eine Katze. Wieso weiß ich denn nichts davon?«
»Weil ich ja doch keine Chance hatte, sie zu bekommen. Da war es doch besser, nichts davon zu sagen.« Sie grinste ihre Mutter an. »Sonst hättest du noch ein schlechtes Gewissen bekommen. Weil du so eine schlechte Mutter bist, die ihrem armen kleinen Einzelkind nicht den kleinsten Wunsch erfüllen kann.«
»Okay, du armes kleines Einzelkind, dann fahre ich mal los. Und du kannst nur hoffen, dass ich wieder zurückkomme von meiner Abenteuertour. Denn sonst, meine Süße, bist du kein armes kleines Einzelkind mehr, sondern eine arme, kleine Vollwaise.«
Sie stieg jetzt mit der größten Selbstverständlichkeit auf das Boot. Ließ den Motor an, was zugegebenermaßen drei Versuche brauchte und sie insgeheim ins Schwitzen geraten ließ. Doch dann fing der kleine Motor an zu blubbern. Katarina sah triumphierend zu Annicka und Augusta. Annicka hob die Hand zum Victory-Zeichen. Katarina holte aus ihrer Jackentasche ihre nagelneue Sonnenbrille hervor, die sie sich extra für den Spanienurlaub gekauft hatte, und zog schließlich triumphierend eine blaue Baseball-Mütze auf, die neben dem Steuerrad lag. Und schließlich gab sie Gas. Das kleine Boot schoss mit Auf jaulendem Motor davon. Um nach ein paar Sekunden hinter einer kleinen Halbinsel zu verschwinden.
*
Katarina war sofort wie in einem Rausch. Obwohl das Boot klein und alt war, spürte Katarina, dass Onkel Johan es gut gepflegt hatte. Sie steigerte das Tempo kontinuierlich und fuhr schließlich mit Höchstgeschwindigkeit über das Wasser. Was für ein Gefühl! Unfassbar, wie viel Spaß das machte. Der Fahrtwind nahm ihr fast den Atem, die Sonne brannte ihr ins Gesicht. Auf den Lippen schmeckte sie das Salz. War das der Geschmack von Abenteuer und Freiheit? Sie musste über sich lachen. Was wollte sie schon mit Abenteuern? Sie war doch froh, dass sie die gefährlichsten Klippen ihres Lebens gemeistert hatte und sie und Annicka sich jetzt in ruhigen Fahrwassern aufhielten. Und Freiheit? Sie war eine junge Mutter, die allein für ihre Tochter verantwortlich war. Das Wort Freiheit hatte sie folglich bis auf weiteres aus ihrem Wortschatz gestrichen. Allerdings ohne großes Bedauern. Denn für die Freiheit, die wahrscheinlich sowieso immer nur eine vermeintliche war, hatte sie ein Leben mit ihrer Tochter eingetauscht. Und das würde sie für nichts auf der Welt wieder hergeben.
Sie fuhr einige weite Kurven, ihre Haare flatterten im Wind. In ihrem Bauch kribbelte es, als sie in einem Bogen ihre eigene Bugwelle schnitt und das Boot hüpfend über die Wellen tanzte. Sie hätte endlos so weiterfahren können. Es war, als entwische sie den Dimensionen Zeit und Raum.
Gerade steuerte sie elegant um eine winzige, bewaldete Insel herum, als das Gefühl der Leichtigkeit jäh endete. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Genau vor ihr tauchte in diesem Moment eine Motoryacht auf. Ein Boot, sicher zehnmal so groß wie Katarinas kleines Holzboot. Instinktiv riss sie das Steuer so weit es ging herum.
Dann hörte sie es. Das hässliche Geräusch, das die beiden Boote machten, als sie sich streiften. Ein widerwärtiges Geräusch, das sich quietschend und kreischend in Mark und Bein bohrte. Einen Moment lang schloss Katarina die Augen. Eigentlich wollte sie gar nicht wissen, was genau passiert war. Dann war es still. Sie seufzte tief. Wie ungerecht war das: Gerade war sie im siebten Himmel gewesen, jetzt war sie wieder hart auf der Erde gelandet, aber wahrscheinlich nur, um direkt zur Hölle durchzurauschen.
Schicksalsergeben drosselte sie die Geschwindigkeit und wendete das Boot. Entschlossen, sich ihrem Schicksal zu stellen.
Sven konnte es nicht glauben. Was war da geschehen? War da wirklich ein kleines blaues Holzboot hinter der Insel hervorgeschossen und hatte ihn gerammt? Wer um Himmels willen war so blind, eine große Yacht wie die seine zu übersehen? Das konnte doch nicht wahr sein. Er konnte sich vieles vorstellen, nur nicht den Nachmittag damit zu verbringen, sich mit irgendeinem Idioten zu streiten, der
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