Mittwinternacht
Merrily gesagt.
«Es liegt
überhaupt
nicht am Wetter! Vielleicht solltest du mal zum Arzt gehen. Ich kenne mich zwar mit Exorzismus nicht aus, aber du machst echt total den Eindruck, als wärst du von irgend was
besessen
.»
Darauf hatte Mom einen Augenblick lang total gruselig ausgesehen, das Gesicht knallrot und verzerrt, wie jemand mit zu hohem Blutdruck, der gleich einen Herzinfarkt bekommt. Und dann hatte sie geschrien: «HÖR SOFORT AUF DAMIT! Ich will darüber
niemals
irgendeinen Witz hören, hast du verstanden?»
«Echt, was ist eigentlich mit deinem Humor passiert?», hatte Jane gefragt und war mit Tränen in den Augen in die Küche gerannt.
Sie frühstückten schweigend. Der Anrufbeantworter blinkte: unabgehörte Nachrichten vom gestrigen Abend. «Wirst du das Dingeigentlich nie mehr abhören?», fragte Jane schließlich, als sie sich auf den Schulweg machte.
«Ich mach es schon noch, Spatz», sagte Mom tonlos und wandte sich ab. Aber Jane glaubte trotzdem, in ihrem Blick Angst gesehen zu haben.
Es war noch nicht ganz hell, als Jane beunruhigt auf dem Marktplatz stand und die Scheinwerfer des Schulbusses an der Ecke auftauchen sah. Was ist, überlegte sie, wenn es keine Grippe oder so ist. Was ist, wenn Mom irgendwelche Symptome an sich festgestellt hat, mit denen sie sich nicht zum Arzt traut.
O Gott. Bitte, Gott.
Wenn sich Jane ausnahmsweise mal an den alten Knaben wandte, ging es immer um Mom.
Piep.
«Merrily, hier ist Sophie. Es ist sieben Uhr. Bitte rufen Sie mich zu Hause an.»
Piep.
«Mrs. Watkins. Stellvertretende DCI Howe, 19 : 27, Dienstag. Ich muss mit Ihnen sprechen. Würden Sie mich bitte morgen, Mittwoch, zwischen acht Uhr dreißig und zehn Uhr anrufen? Danke.»
Piep.
«Hier spricht Susan Thorpe, Mrs. Watkins, von
The Glades
. Würden Sie bitte unsere Vereinbarung für morgen Abend bestätigen? Danke sehr.»
Piep.
«Merrily, hier ist nochmal Sophie. Bitte rufen Sie mich zurück. Sie können sich sicher denken, worum es geht.»
Piep.
«Hallo, junge Frau. Zeit, dass wir uns mal unterhalten, was?»
Das fand Merrily überhaupt nicht.
«Viv, du kennst doch die alternative Szene hier in Hereford, oder?», fragte Lol.
«Mein Lieber», Viv lachte kehlig, «ich
bin
die alternative Szene von Hereford. Du darfst mich bloß nicht nach einem Dealer fragen.»
«Was läuft da über diesem Café in der Bridge Street?»
«Im
Pod’s
?» Viv sah ihn prüfend an. «Tja, sie hatten früher einen guten Cashew-Burger, aber dann haben sie den Koch gewechselt, und jetzt schmeckt der Burger nicht mehr so gut. Dort bekommst du nichts.»
«Nein.» Lol schüttelte den Kopf. «Ich bin nicht auf der Suche nach Drogen.»
Sie sah ihn erneut scharf an. «Nach was denn sonst?»
«Ich weiß nicht so genau. Mystizismus? Esoterik?»
«Das haben sie für dich auch nicht im Angebot. Nicht im
Pod’s
.»
Er wusste nicht, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte.
«Du hast das falsche Geschlecht, Lol. Das ist ein Frauending dort. Ich kann dich mit ein paar anderen Leuten zusammenbringen, wenn du willst, kommt darauf an, wofür du dich interessierst. Wicca … Theosophie … Gurdjieff …?»
«Ich erzähle dir, worum es mir wirklich geht», sagte Lol. «Es hat mit einer Freundin von mir zu tun. Sie glaubt, ihre Tochter könnte sich auf etwas eingelassen haben, was da im
Pod’s
läuft, und sie möchte ein bisschen genauer Bescheid wissen. Damit sie beruhigt ist und so.»
«Wie heißt sie?»
«Jane. Jane Watkins.»
«Kenne ich nicht.» Viv setzte sich hinter die Ladentheke. «Also, ich war ein paarmal dort, aber dann wurde es mir ein bisschen zu heftig.»
«Worum ging es?»
«Selbsterfahrung, Meditation, Astralprojektion, Okkultismus light – verstehst du?»
«Kannst du deinen Körper verlassen, Viv?»
«Nein, leider nicht, Schätzchen. Die beste Lehrerin, die sie hatten, war gerade ausgestiegen, und dann sie sind ziemlich elitär geworden. So im Stil esoterischer Damenclub. Also bin ich nicht mehr hingegangen. Dafür ist das Leben zu kurz.»
«Wofür?»
«Dafür, solche Sachen ernst zu nehmen. Abgesehen davon war es mir sowieso zu versnobt und zu trübsinnig.»
Lol fragte sich, wie trübsinnig etwas sein musste, um einen Nico-Fan abzuschrecken.
«Ist diese Jane eine von diesen total ernsthaften, hyperintelligenten Jugendlichen?»
«So würde ich sie nicht beschreiben. Na ja … bis jetzt hätte ich sie nicht so beschrieben.»
Susan Thorpes
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