Mittwinternacht
Schritt auf sie zu. «Spatz, bitte …»
«Lass mich in Ruhe. Lass mich in
Ruhe
. Dir ist es ganz egal, wie tief du sinkst, Hauptsache du kannst deinen lächerlichen kleinen Ruf aufrechterhalten, oder?»
«Werd doch mal erwachsen, Jane.»
Jane lächelte verzerrt. «Oh, das werde ich. Ich werde ganz bestimmterwachsen.» Sie flüsterte jetzt nur noch. «Weißt du, ich werde dir nie im Leben mehr vertrauen, und wenn man jemandem nicht vertrauen kann, was soll man dann noch mit dieser Person? Ich muss überhaupt nicht zu Rowenna. Es gibt genügend andere Leute, bei denen ich wohnen kann. Ich kenne nämlich viele Leute – und zwar richtig
gute
Leute.»
«Das wäre ziemlich dumm. Du bist erst sechzehn Jahre alt.»
«Stimmt, wenigstens kannst du rechnen.»
«Und das sind keine guten Leute.»
«Woher willst du das wissen, verdammt nochmal?» Jane hob ihren Zeigefinger. «Ich sag dir jetzt mal was. Ich würde lieber dem Teufel meine Seele verkaufen, als noch eine Nacht in diesem Mausoleum zu verbringen.»
«Jetzt reicht es aber, hör jetzt auf. Es ist mir egal, was du über mich sagst, aber
das
sagst du nicht noch einmal. Du … sagst … es … nicht … noch … einmal.»
Jane zuckte mit den Schultern. «So was wie … komm und hol mich, Satan?»
Sie warf ihr Haar zurück, das eigentlich nicht lang genug war, um zurückgeworfen zu werden, und rauschte in die Eingangshalle. Merrily hörte, wie sie sich ihre Jacke von der Garderobe schnappte und die Haustür hinter sich zuknallte.
Nach einer Weile wurde Merrily bewusst, dass Ethel, die schwarze Katze, jämmerlich maunzend um ihre Beine strich. Sie nahm die Katze hoch und sah, dass der Nebel draußen dichter wurde.
Dann fing das Telefon wieder an zu klingeln.
Beim letzten Läuten hatte sie gehofft, es wäre Huw. Doch jetzt hoffte sie, es wäre Lol. Sie musste mit jemandem darüber reden.
«Merrily? Hier ist Barry Ambrose.»
«Oh … Hallo, Barry.» Sie setzte sich an ihren Tisch im Spülküchen-Büro.Hoffentlich rief er nur an, um zu sagen, dass er nicht das Geringste rausgefunden hatte.
«Ich habe etwas über das Mädchen in Erfahrung gebracht, Merrily», sagte Barry.
«Rowenna?»
«Ich hoffe, Sie haben möglichst wenig mit ihr zu tun», sagte Barry.
TEIL VIER
Invasor
40
Verderbliche Einflüsterungen
In Leominster war der Nebel schlimmer, deshalb hatte der Bus Verspätung, wie der Fahrer erklärte. Schon wieder Nebel, hörte das denn nie wieder auf?
Andererseits: Wenn der Bus pünktlich gekommen wäre, hätte Jane ihn verpasst – dank der bescheuerten Frau Pfarrer.
Sie ließ sich ziemlich weit hinten auf eine Bank fallen. Ihr war schlecht. Das war’s jetzt, oder? Das war’s jetzt
echt
. Sie konnte auf keinen Fall abends wieder nach Hause kommen. Vor dem Busfenster verschwamm die Welt im Nebel, aus dem höchstens mal ein Baumskelett auftauchte.
Warum hatte sie sich das angetan? Warum hatte sie es nicht einfach ausgesessen, ein paar Entschuldigungen gemurmelt, weil sie zu der Esoterik-Messe gegangen war, und … Aber das hätte vermutlich nicht funktioniert. Mom wusste über das
Pod’s
Bescheid. Wie hatte sie das herausgefunden, verdammt nochmal? Hatte das
Pod’s
eine undichte Stelle? War es von Christinnen unterwandert?
Das war einfach alles so gemein und
unfair
. Jane fühlte sich schäbig und heruntergekommen in ihrem alten Schul-Dufflecoat. Sie hatte keine Zeit gehabt, sich etwas anderes zum Anziehen zuholen. Wenn man einen großen Abgang hinlegen will, muss man es
sofort
machen! Man durfte nicht den ganzen Effekt verderben, indem man erst noch rauf in sein Apartment ging und seinen schwarzen Pulli und die schönere Jeans anzog oder sich seine neue Fleecejacke holte.
Es war echt paradox. Heute Morgen hatte sie bei ihrem Gruß an die
Ewige Sonnenfürstin
gedacht: Was bringt das eigentlich überhaupt? Und eigentlich fand sie, dass die meisten Frauen vom
Pod’s
ziemlich trübsinnige Gestalten waren. Und gerade die Tatsache, dass sie so trübsinnige Gestalten waren, zeigte doch, was für ein Quatsch Moms Theorie war, dass sie sich nur für Jane interessierten, weil ihre Mutter in dieser spitzenmäßigen Kirche von England Exorzistin war.
Das war alles so megabescheuert. Wenn Mom nur nicht so verdammt
beleidigend
geworden wäre, dann hätten sie das wieder geradebiegen können. Die Bemerkung, dass Jane keinen Freund hatte, war einfach unter der Gürtellinie. Wen denn auch? Dean Wall vielleicht? Oder Danny Gittoes?
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