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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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geliebten Hügel verschwunden.
    Viel hatte sie allerdings nicht zu transportieren. Moon besaß nicht einmal ein richtiges Bett. Als die Männer von der Umzugsfirma gegangen waren, stieg Lol zu der Wallanlage aus der Eisenzeit hinauf, um Moon zu suchen.
    Der Anstieg durch den Wald war nicht steil, denn die Scheune stand weit oben in der Nähe der flachen Hügelkuppe, wo das alte Runddorf aus der Eisenzeit gestanden hatte. Bis auf Erdsenken und Vertiefungen war nichts davon übrig geblieben. Sie wurden von riesigen Bäumen und Erdwällen bewacht, die an der höchsten Stelle aufgeschüttet worden waren.
    Und dort fand er Moon, dort, wo die Baumgiganten eine Lücke bildeten, durch die man auf Hereford hinuntersehen konnte.
    Lol wusste, dass manche Leute den Hügel für eine
heilige Stätte
hielten, wenn er auch den Grund dafür nicht kannte. Das könnte er Moon fragen. Die uralten Mysterien von Dinedor gingen in ihrer Seele um.
    Sie stand mit dem Rücken zu ihm bei einer riesigen Buche, die noch fast alle Blätter hatte. Ihre Haare hingen beinahe bis zum Gürtel ihres mittelalterlichen Gewandes herab, über dem sie einen Wollschal trug.
    Ihr Anblick ließ Lol an die Feenbilder von Arthur Rackham und die Ausfaltplakate von diesen pseudomystischen Musikalben aus den frühen siebziger Jahren denken – solche Platten hatten ihn zu seinen ersten Songs inspiriert. Allerdings waren seine Songs fast schon wieder aus der Mode, als Lols erste Band, Hazey Jane, endlich den ersten Plattenvertrag bekommen hatte.
    Moon war zu der Zeit vermutlich noch in der Grundschule gewesen. Sie schien eine ganze Generation ausgelassen zu haben, wenn nicht zwei. Hippie
nouvelle
. Unten in der Stadt wirktesie manchmal blass und nervös, irgendwie weit weg von allem. Hier oben allerdings stand sie mit ihrer Umgebung in Verbindung.
    Das war ihrem Psychotherapeuten Dick Lyden aufgefallen, und so hatte er ihrem Plan seinen fachkundigen Segen erteilt, auch wenn sich ihr Bruder Denny teuflisch darüber aufregte. «Das kann sie nicht machen! Du musst es verhindern. SIE KANN DORT NICHT LEBEN! DAS KOMMT VERDAMMT NOCHMAL ÜBERHAUPT NICHT IN FRAGE!»
    Aber sie war eine erwachsene Frau. Was hätten sie tun sollen? Sie in die Psychiatrie einweisen lassen? Lol, der diese Horrorerfahrung selbst gemacht hatte, war inzwischen der Ansicht, dass dort niemand hingehörte, der keine Gefahr für die Allgemeinheit darstellte.
    Als er Moon bei dem Wall stehen sah, fand er, obwohl ihr Gesicht von ihm abgewandt war, dass sie so gelassen wirkte wie noch nie zuvor.
    Dann warf sie einen Blick über die Schulter und lächelte ihn an.
    «Hi.»
    «Alles klar?»
    «Ja.» Sie sah wieder auf die Stadt hinunter. «Das ist wunderschön, oder? Sieh mal. Die Kathedrale und die All-Saints-Kirche. Ist das nicht verblüffend?»
    Von ihrem Standpunkt aus befanden sich der Kirchturm und der Kathedralenturm in einer Linie. Der Himmel darüber war in ein merkwürdiges blasses Orangerot getaucht.
    Moon sagte: «Es gibt auch in anderen Städten viele solcher Energielinien. Heutzutage kann man sie wegen der Bebauung mit Hochhäusern oft nicht mehr erkennen, aber in Hereford gibt es keine so hohen Häuser. Die Stadtsilhouette hat sich kaum verändert.»
    Lol erinnerte sich daran, ein altes Foto gesehen zu haben, dasArthur Watkins in den 1920er Jahren von dieser Stelle aus aufgenommen hatte. Watkins hatte in Hereford gelebt und als Erster bemerkt, dass prähistorische Steinmonumente und Hügel und Kirchen aus dem Mittelalter oft auf einer geraden Linie lagen, die quer durch die Landschaft verlief. Die meisten Archäologen hielten diese Theorie für Unsinn, doch Katherine Moon war eben nicht wie die meisten Archäologen.
«Es ist zumindest spirituell bedeutsam»
, hatte sie einmal gesagt. Lol wusste nicht genau, was sie damit meinte.
    «Moon», sagte er jetzt, «warum bezeichnen die Leute diesen Hügel als heilig?»
    Darüber musste sie gar nicht erst nachdenken. «Die Linie verläuft durch vier alte Kultstätten, okay? Sie endet bei einer sehr alten Kirche mitten im Land. Aber sie beginnt hier, und das hier ist der höchste Punkt auf der Linie. Also stehen all diese Kirchen, einschließlich der Kathedrale, im Schatten dieses Hügels.»
    «Im übertragenen Sinn.»
    «Im spirituellen Sinn. Dieser Hügel ist die Mutter der Stadt. Dieses Dorf hier oben war die erste richtige Ansiedlung, lange bevor da unten eine Stadt entstanden ist. Mehr als tausend Kelten haben hier oben gelebt.» Sie hielt inne.

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