Mittwinternacht
Rauschgifthandel, oder wie man das heutzutage nennt, seit Jahrzehnten eine große Rolle. Die Purefoys verfügten über Kapital, über Kontakte und über einen sehr
britischen
Charme. Mit ihrer Unterstützung undihrem Rat wurden ein paar höchst lukrative Immobiliengeschäfte getätigt, die zum Beispiel zum Kauf des Gebäudes in der Bridge Street führten, in dem das
Pod’s
ist. Danach konnte ich einfach nicht mehr mit dieser Gruppe arbeiten, und das war wirklich eine Schande, denn so kam ich wenigstens einmal die Woche hier raus – sie haben mir immer ein Taxi geschickt. Aber ich wusste, was passieren würde.»
«Was denn?»
«Sie haben das
Pod’s
als Fassade benutzt. Podmore hat mir schon von der Tochter deiner Freundin erzählt – aber ich hätte da noch eine Frage. Diese Freundin, ist das zufällig Merrily Watkins?»
«Woher wissen Sie das?»
«Ha! Jetzt wird mir einiges klar. Kaum vorstellbar, was diese Frau für ein begehrenswertes Ziel für die Purefoys und ihre Leute sein muss! Ein
weiblicher
Exorzist – und noch dazu dermaßen
gutaussehend
.»
«Ja.» Lol faltete die Landkarte zusammen.
«Ah», sagte Athena ruhig. «Ich verstehe.»
«Wo warst du? Ich meine,
wo bist du gewesen
?» Ihre Tochter starrte sie bloß an. Merrily atmete tief ein und hielt sich an der Chromstange des Agas fest. «Entschuldige. Meine Güte, was rede ich bloß?»
«Ich weiß nicht, Mom.»
«In der Kirche habe ich die Augen geschlossen und diesen lindgrünen Fiesta rückwärts in unsere Einfahrt fahren sehen. Und dann komme ich von der Kirche zurück, und du bist nicht da. Es gibt allerdings auch keinen Grund dafür, dass du die ganze Zeit hier sein musst.»
«Nein, Mom», sagte Jane, «aber es tut mir trotzdem leid. Es war gedankenlos von mir.»
«Beachte mich einfach nicht, Spatz. Offenbar leide ich jetzt auch noch unter Verfolgungswahn. Vorhin war jemand im Gottesdienst, den ich nicht kannte.
Und was denke ich? Ja. Klar. Noch einer!
Jetzt bin ich also schon so weit, dass ich in irgendwelchen fremden Gesichtern nach einem verdächtigen Grinsen suche. Ich versuche von ihren Lippen abzulesen, ob sie auch wirklich die Worte des Vaterunsers sagen. Hinterher gehe ich durch die Kirche und schnuppere über den Plätzen herum, auf denen sie gesessen haben. Und dir sollte ich das alles überhaupt nicht erzählen. Du bist erst sechzehn.»
«Ja, das stimmt», sagte Jane gelassen. «Und ich habe gerade mit Danny Gittoes gesprochen. Rowenna hat ihm offenbar einen geblasen, damit er in die Kirche einbricht und deine Soutane mit Denzil Joys Anzug verseucht. Ich dachte, das interessiert dich vielleicht.»
Merrily stieß sich vom Aga ab.
«Außerdem hat sich Rowenna mit einem jungen Schnösel namens James Lyden
getroffen
– das ist ein Euphemismus, klar? Er geht in die Cathedral School und soll anscheinend heute Abend in der Kathedrale als – würg, kotz – Kinderbischof inthronisiert werden. Kannst du damit irgendwas anfangen?»
47
Eine Sache aus dem Mittelalter
Sie versuchte Huw anzurufen, doch er war nicht zu Hause. Merrily kannte seine sonntäglichen Verpflichtungen nicht. Vielleicht fuhr er in den Hügeln von einer Kirche zur anderen, um die Messe zu halten. Und wenn er ein Handy besäße, hätte er dort oben sowieso keinen Empfang.
Als Nächstes rief sie bei Sophie an. Wenigstens sie war zuHause. Merrily stellte sich einen heiteren Raum in Pastellfarben mit hoher Decke und einer Standuhr vor.
«Sophie, gehen Sie heute Abend zum Kinderbischof-Gottesdienst?»
«Das tue ich immer», sagte Sophie. «Sehen wir uns dort?»
«Wenn nichts dazwischenkommt.»
«Ich würde gerne mit Ihnen sprechen. Das habe ich schon viel zu lange vor mir hergeschoben.»
Auch Lol war nicht zu erreichen, aber Merrily sagte sich, dass sie schon alleine klarkommen würde.
Als Jane ihr einen Kaffee ins Spülküchen-Büro brachte, sagte sie: «Hör mal zu, Spatz. Ich erzähle dir jetzt etwas, und du sagst mir aus deiner Sicht als gnadenlose Zynikerin, was dir als Erstes dazu einfällt.»
Jane zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. «Leg los», sagte sie.
«Es geht um eine Sache aus dem Mittelalter.»
«In Hereford scheint es ja grundsätzlich ziemlich mittelalterlich zuzugehen», sagte Jane.
«Im dreizehnten Jahrhundert war diese Mittwinter-Zeremonie anscheinend in weiten Teilen Europas verbreitet. Manchmal wurde der Kinderbischof auch ‹Bischof der Unschuldigen› genannt. Die Tradition wurde während der Reformation unter Henry
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