Mittwinternacht
seinemabgelegenen, Brontë-artigen Pfarrhaus saß wie ein struppiger Wolfshund.
«Also lassen Sie hören, meine Liebe.»
Sie erzählte ihm von Denzil Joy. Sie erzählte knapp und prägnant. Sie ließ nichts aus, was sie für wichtig hielt.
Kratz-Kratz
. Und dann erzählte sie, was Dobbs damit zu tun hatte. Es dauerte über eine Viertelstunde, und der Bericht brachte sämtliche Empfindungen zurück. Sie fühlte sich von Neuem wie beschmutzt.
«Du meine Güte», sagte Huw, «das ist ziemlich verzwickt.»
«Was halten Sie davon?»
«Da könnte einiges zutreffen. Denzil Joy könnte einfach ein bösartiger Mistkerl gewesen sein. Oder es könnte sich um einen
Träger
handeln.»
«Ein Träger. Haben Sie uns etwas über Träger erzählt?»
«Möglicherweise hab ich das vergessen.»
«Was bedeutet, absichtlich vergessen. Sind
Träger
die Leute, die
Anhalter
aufnehmen?»
«Sie sind nicht dumm, Merrily. Hab ich’s nicht schon immer gesagt? Nachweisbare Träger sind … nicht so verbreitet. Und nicht leicht zu erkennen. Und sie können eine Menge Hysterie unter den Bibel-Fundamentalisten auslösen. Sie wissen schon, wenn einer es hat, dann muss es ansteckend sein. Und dann veranstalten sie diese dubiosen Massenexorzismen, wo sich alle auf dem Boden wälzen und sich die Bäuche halten.»
«Es war nur ein Mann», sagte Merrily, «bis jetzt.»
«Das ist gut zu wissen. Also, ein Träger ist gewöhnlich ein gehässiger Mensch, der noch mehr Gehässigkeit anzieht – wie ein Magnet die Eisenspäne. Meistens gibt es auch eine sexuelle Macke, wie einen übermäßigen Geschlechtstrieb. Und besonders intelligent sind Träger auch nicht. Oben zu wenig und unten zu viel, könnte man sagen.»
«Muss ich irgendetwas Spezielles tun, nachdem er jetzt tot ist?»
«Um sicher zu sein, dass er nicht zurückkehrt? Das klingt sehr danach, als hätte es Mr. Dobbs eingefädelt. Ist wohl nicht friedlich entschlafen, was?»
«Eindeutig nicht.»
«Vielleicht funktioniert es nicht. Das ist nämlich das Dumme am Exorzismus – in der Hälfte der Fälle funktioniert er nicht. Sie sollten gelegentlich für Ihren eigenen Schutz beten. Ach ja, und eine Woche lang keinen Sex.»
«Verdammt, Huw, das werde ich kaum durchhalten.»
«Oh», sagte Huw. «Also sind Sie immer noch allein? Was für eine Verschwendung. Gott hasst Verschwendung.»
Vor der Mittagspause machte Merrily für den nächsten Vormittag um elf Uhr einen Termin mit Mrs. Susan Thorpe in dem Altenheim mit dem Namen The Glades Residential Home. Während des Telefonats musste jemand bei Mrs. Thorpe im Zimmer gewesen sein, der nichts von der Sache wusste, denn Mrs. Thorpe redete, als wäre Merrily ein Kammerjäger, der etwas gegen die Holzwurmplage unternehmen sollte.
Sophie traf sich zum Mittagessen mit einer Freundin im
Green Dragon
. Merrily beschloss, sich einmal anzusehen, was in dem Café in der All Saints Church angeboten wurde. Es war jedenfalls eine geniale Idee, um ein paar Hintern auf die Kirchenbänke zu bekommen, oder zumindest in die
Nähe
von Kirchenbänken.
Aber zuerst –
Verdammt, ich werde mich nicht davor drücken
– ging sie zurück in die Gwynne Street.
Über der Broad Street hing eine schwache weißliche Sonne, doch die Gwynne Street lag immer noch im Schatten. Das Einzige, was Merrily entgegenleuchtete, war ein helles Rechteck auf Dobbs’ abblätternder grüner Haustür.
Es entpuppte sich als schmaler weißer Umschlag, der unter der Klappe des Briefkastens festgeklemmt war. Als sie die Faust hob,um an die Tür zu klopfen, und sich dabei fragte, ob sie den Umschlag ganz in den Briefkasten stecken sollte, sah sie den Namen, der darauf getippt worden war.
MRS. M. WATKINS
Sie erhaschte eine Bewegung an einem der Fenster im oberen Stock, und als sie hinaufsah, bewegte sich der Vorhang. Er war da! Der alte Mistkerl war die ganze Zeit zu Hause gewesen. Er hatte da oben gestanden und ihr dabei zugesehen, wie sie die Farbe von seiner Tür rieseln ließ.
Und jetzt hatte er einen Brief für sie vorbereitet.
Die Straße war verlassen; keine Autos, keine Passanten, keine Stimmen. Sie hätte am liebsten Dobbs’ Fenster eingeschlagen. Stattdessen schnappte sie sich den Umschlag und ging weg, ohne sich umzusehen.
Schnell ging sie auf der Gwynne Street zurück, an der Christlichen Buchhandlung und der Touristeninformation vorbei und um die Ecke in die King Street, und erst dort blieb sie stehen und riss den Umschlag auf. Sie hoffte,
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