Mittwinternacht
Schwiegervater ist der Dekan von Gloucester. Michael hat den Eindruck, dass sich die Leute, wenn ihnen klarwird, wie viel Arbeit der Beratungsdienst für Grenzfragen zu bewältigen hat, wieder mehr dem zuwenden, was man vielleicht spirituelle Präventionsmedizin nennen könnte.»
«Meinen Sie damit das, was wir früher einfach als ‹Kirchgang› bezeichnet haben?»
Sophie lächelte gezwungen.
«Ich weiß», sagte Merrily erschöpft, «irgendwie ergibt das alles einen Sinn.»
«Ich bezweifle nicht, dass Sie es schaffen, Merrily. Sie finden die Einzelheiten zu der Geistererscheinung von Dorstone in Ihrem Computer, wenn Sie auf dem Desktop das Dokument
Memo
anklicken. Ich bin nebenan, falls Sie mich brauchen.»
«Danke.» Merrily zog ihre Jacke aus und schaltete den Computer an.
Und dann stand sie wieder vom Schreibtisch auf, zog die Tür zu und rief Eileen Cullen zu Hause an.
«Gutes Timing, Merrily. Bin grade vom Dienst gekommen, war schnell etwas einkaufen, und jetzt gehe ich schlafen.» Außerhalb der Station klang Cullens Stimme sanfter. «Wie geht’s Ihnen inzwischen?»
«Ich bin ein bisschen durcheinander.»
«Aha. Also … was kann ich Ihnen Neues erzählen? Auf der Station ist die Erleichterung fast mit Händen zu greifen. Wir haben ihn aufgebahrt – er war die unheimlichste Leiche, die ich je gesehen habe –, und anschließend haben wir den Überwachungsraum desinfiziert. In die Leichenhalle hat er seinen Gestank nicht mitgenommen.»
Fast augenblicklich stieg Merrily wieder Denzils Reptiliengeruch in die Nase. Sie unterdrückte ein Husten.
«Oh, und am späten Vormittag», sagte Eileen Cullen, «ist der alte Mann gekommen und hat ein paar Gebete gesprochen.»
«Der alte Mann?» Merrily erstarrte.
«Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er hatte einen Priesterkragen an, also hat ihn niemand weiter ausgefragt.»
«Er heißt Dobbs», sagte Merrily.
«Stimmt, so hieß er, glaube ich.»
«Er wusste schon, dass Denzil gestorben war, oder?»
«Muss er wohl. Obwohl ich nicht weiß, wie er das erfahren hat. Wir haben schließlich nicht die Zeit, der Kirche ein amtliches Mitteilungsblatt rüberzuschicken.»
«Okay, lassen Sie uns nicht länger um die Sache herumreden – ich erkläre es Ihnen. Kanonikus Dobbs ist der Diözesanexorzist. Und ich bin diejenige, die sein Amt übernehmen soll. Er will nicht gehen, und ganz bestimmt will er nicht von einer Frau ersetzt werden. Ich glaube langsam, dass er mich gestern Nacht mit Denzil ins offene Messer laufen lassen wollte, damit ich eine Ahnung davon bekomme, wie unangenehm und widerlich dieser Job sein kann.
Und
warum es kein passender Job für eine Frau ist.»
Nach kurzem Schweigen sagte Cullen: «Das war nicht besonders nett von ihm, oder?»
«Das kann man wirklich nicht behaupten. Und deshalb würde ich einfach gerne … Bescheid wissen. Über alles, woran Sie sich erinnern können. Ich behandle das natürlich alles streng vertraulich, Eileen.»
«Ja», sagte Cullen, «manche Chirurgen sind genauso. Sie genießen es richtig, einen in Schwierigkeiten zu bringen. Na gut, ich erzähle Ihnen, was ich weiß. Er
kannte
Denzil Joy. Ob aus Denzils Leben außerhalb des Krankenhauses, kann ich nicht sagen. Vermutlich. Aber er kam einmal auf die Station – ich war nicht da, aber Protheroe –, und sie mussten ihn bitten zu gehen. Denzil hat ihn angebrüllt, alle möglichen Widerlichkeiten von sich gegeben, die man in einem Krankenhaus wirklich nicht hören will, und damit hat er ewig weitergemacht, auch als der Pfarrer schon längst wieder weg war. Deshalb haben wir ihn auch die letzten beiden Male allein in ein Zimmer gelegt. Darunter hat seine Frau dann leider ziemlich leiden müssen.»
«Hat jemand von Ihnen mit Dobbs über den Vorfall gesprochen?»
«Oh, er spricht nicht mit unsereins – nur kurz mit Protheroe. Er hat ihr gesagt, wir sollten es ihn wissen lassen, falls wir wieder Probleme mit Mr. Joy hätten. Also hat Protheroe an dem Abend nach der Sache mit Denzils Frau natürlich geschrien: ‹Ruft den Priester, ruft den Priester, der Mann ist vom Teufel besessen.›»
«Und Sie haben ihn gerufen.»
«Ich habe die Nummer angerufen, die Protheroe mir gegeben hat, und eine Frau hat den Anruf entgegengenommen. Ich habe ihr gesagt, wer ich bin und worum es sich handelt, und sie sagte: ‹Einen Moment bitte›, und als sie wieder an den Apparat kam, erklärte sie mir, ich solle Hochwürden Watkins anrufen. Ist Ihr Problem damit
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