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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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schon einmal die Tarotkarten befragt?»
    «Ein oder zwei Mal», log Jane.
    Angela lächelte. Sie saß an einem langen Pub-Tisch aus zerkratztem Mahagoni. Hinter ihr war ein kleines Fenster mit einer Milchglasscheibe, durch das kühles graues Licht hereinfiel. Inzwischen wurde es draußen dunkel.
    Angela war schon dabei, die Karten zu mischen. Ihre Hände waren schmal und gelenkig, sie trug keine Ringe. Unvermittelt schob sie Jane den Kartenstapel hin.
    «Nimm sie.»
    «Ich?»
    Angela nickte. Sie war überhaupt nicht so, wie Jane es sich vorgestellt hatte. Kein Kopftuch, keine großen Messingkreolen. Jane blickte in ein ovales Gesicht, das von schulterlangem aschblondem Haar eingerahmt wurde. Angela trug einen naturfarbenen Leinenanzug, der genauso wenig zu dieser Messe passte wie Rowennas Kaschmirmantel. Jane griff nach den Karten.
    «Und mische sie.»
    Die Karten waren ziemlich groß, und Jane stellte sich ungeschickt an. Ein paar Karten fielen aus dem Stapel, als sie versuchte, sie zu mischen. «Sorry.»
    «Schon okay, du machst das sehr gut. Und jetzt abheben bitte.»
    Am überraschendsten war Angelas Stimme. Sie hatte einen warmen Klang, und die Aussprache war sehr kultiviert.
    Jane hob ab und legte den zweiten Kartenstapel neben den ersten.
    «Du musst wissen», sagte Angela, «dass die Karten eher eine Art Hilfsmittel sind. Sie bilden eine spirituelle Brücke zwischen uns.» Sie legte die Karten zusammen und zog dann ihre Hand zurück, als hätte sie sich daran elektrisiert.
    «Oh!»
    «Was ist denn?»
    «Oh, Jane   …»
    Was hat sie gesehen?
    Jane sagte nervös: «Woher wissen Sie meinen Namen?»
    «Ich bin schließlich Hellseherin.» Angela lachte unbeschwert. «Nein, natürlich hat mir deine Freundin gesagt, wie du heißt.»
    «Und was hat sie Ihnen sonst noch erzählt?»
    «Tja, jedenfalls nicht, wie stark du bist. Hat dir das noch nie jemand gesagt?» Angela begann die Karten zu legen.
    «Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.» Aha. So langsam verstand Jane, worauf das hier hinauslief.
    «Dann wird es bestimmt noch passieren», sagte Angela mit ruhiger Überzeugung.
    Ja, klar.
Ich frage mich nur, wie vielen anderen Leuten du das heute schon erzählt hast.
Jane nickte schweigend. Nachdem sie jetzt wusste, dass das hier Beschiss war, hatte sie keine Angst mehr. Hatte Rowenna die Sache auch durchschaut? Logisch. Wenn sie rauskäme, würde Rowenna sich vermutlich noch stundenlang über Janes Ängstlichkeit kaputtlachen.
    Angela hatte die Karten in einen perfekten Halbkreis gelegt. Sie waren sehr schön koloriert, und Jane begann nach den Bildern zu suchen, die sie auf den Umschlägen von Krimis gesehen hatte.
Der Tod. Der Teufel. Der Gehängte. Das Jüngste Gericht.
Doch sie fand keine dieser Karten, sämtliche Bilder waren ihr neu.
    Angela legte eine Karte mit der Bildseite nach unten in den Halbkreis, betrachtete sie einen Moment lang nachdenklich und drehte sie dann um. Es zeigte sich eine lächelnde Frau in einem langen weißen Gewand, die auf einer Art Thron saß, der von geheimnisvollen Symbolen und magischen Gegenständen umgeben war.
    «Sag mal, Jane, was weißt du über deine Ahnen?»
    «Wie bitte?»
    «Ich meine, weißt du etwas – wie soll ich das ausdrücken – von weisen Frauen in deiner Familie?»
    «Ich schätze, das hängt davon ab, was man unter weise versteht.»
    «Was ich wahrnehme, ist eine   … Du würdest es vermutlich Tradition nennen. Ich spüre   … Ich glaube, du verfügst über ein reiches Erbe. Ob es aus der unmittelbaren Verwandtschaft stammt oder aus weiter zurückliegenden Zeiten, kann ich nicht sagen, aber es ist eindeutig da. Es hat sich sofort gezeigt. Ich habe es zweimal überprüft, und die Karten haben es bestätigt. Es besteht hier eine sehr starke Traditionslinie.»
    Mom? Meint sie Mom?
Jane stellte fest, dass sie den Atem anhielt.
    «Kannst du dir vorstellen, wovon ich rede?»
    «Na ja   … vielleicht.» Mom hatte manchmal von Erfahrungen erzählt, die sie in Kirchen gehabt hatte, Visionen von einer himmlischen Güte in Blau und Gold, die ihr das sichere Gefühl dafür gegeben hatten, was sie werden   …
    Erzähl ihr bloß nicht, was Mom macht!
    Doch zu ihrem Erstaunen hob Angela die Hand. «Nein, du musst nichts erklären – solange du mich verstehst.»
    «Okay.» Jane atmete langsam aus. Verdammt nochmal.
    Angela konzentrierte sich jetzt ganz auf die ausgelegten Karten. Sie war vollkommen ruhig und distanziert, als säße sie mit den Karten in

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